In den vergangenen Monaten sind weniger Geflüchtete nach Deutschland gekommen, die Flüchtlingsaufnahme in den Kommunen steht dennoch immer wieder im Mittelpunkt politischer Debatten. Wie die Gesamtsituation in den Kommunen aussieht, darüber ist nach wie vor wenig bekannt.
Die Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim und der Mediendienst Integration haben deshalb knapp 800 Kommunen zum Stand der Flüchtlingsaufnahme befragt. Es ist die zweite bundesweite Umfrage zum Thema – die erste fand im Oktober 2023 statt. In der Zwischenzeit hat die Bundesregierung mehrere Maßnahmen beschlossen, die Kommunen entlasten sollen – darunter eine jährliche Pro-Kopf-"Flüchtlingspauschale" sowie Leistungskürzungen für Geflüchtete.
Die Expertise von Boris Kühn und Franziska Ziegler (Universität Hildesheim) mit den Ergebnissen der Befragung finden Sie hier >>> LINK
1. Weniger Kommunen im "Notfallmodus"
Eine überwiegende Mehrheit (71,2 Prozent) der befragten Kommunen bezeichnet die Lage der Unterbringung nach wie vor als "herausfordernd, aber (noch) machbar". Der Anteil der Kommunen, die sich als "überlastet – im Notfallmodus" bezeichnen, ist in den vergangenen sechs Monaten deutlich zurückgegangen: von 40,4 Prozent im Oktober 2023 auf 22,9 Prozent im Mai 2024.
Ein möglicher Grund ist, dass in den vergangenen sechs Monaten die Zahl der Zuzüge von Schutzsuchenden zurückgegangen ist, schreiben die Autor*innen der Expertise. Gleichzeitig haben etliche Kommunen ihre Aufnahmekapazitäten ausgebaut und neue Unterbringungsstrategien entwickelt.
2. Kommunen in Ostdeutschland sehen die Lage positiver
Wie Kommunen die Lage einschätzen, hängt auch davon ab, in welchem Teil Deutschlands sie sind: In etwa jeder fünften befragten Kommune in Ostdeutschland heißt es, die Lage lasse sich "ohne große Schwierigkeiten" managen – deutlich mehr als im Westen.
Das könnte unter anderem daran liegen, dass im Osten mehr Wohnraum zur Verfügung steht, so die Einschätzung der Autor*innen mit Bezug auf den Atlas des Thünen-Instituts zum Wohnungsleerstand. In den ostdeutschen Bundesländern werden auch Notunterkünfte deutlich weniger genutzt als im Westen.
3. Wohnungen am meisten genutzte Unterbringungsform
Die Ergebnisse der Umfrage zeigen: Die am meisten genutzte Unterbringungsform sind Wohnungen (kommunale oder im privaten Eigentum).
Notunterkünfte werden weiterhin genutzt – aber nur von einer Minderheit unter den Kommunen: Besonders größere Kommunen müssen auf Notunterkünfte wie Sporthallen und Zelte zurückgreifen.
4. "Auszugsstau" ist das Hauptproblem
Viele anerkannte Flüchtlinge bleiben auch lange nach ihrer Einreise in kommunalen Unterkünften. Das führt dazu, dass Plätze für Neuankommende fehlen. Diese "Auszugskrise" ist die größte Herausforderung in der Flüchtlingsaufnahme – fast 90 Prozent der Kommunen nennen sie. Ein weiterer Faktor ist der Wohnraummangel.
5. Ausländerbehörden und Kitas im Stresstest
Nicht nur die Unterbringung von Geflüchteten bereitet den Kommunen Schwierigkeiten. Andere Bereiche, die für die Integration von neu Zugewanderten relevant sind, befinden sich auch im Stress-Modus. Insbesondere Ausländerbehörden und Kindertagesstätten sind nach Angaben der Kommunen stark ausgelastet. Da die Ausländerbehörden für eine Reihe bürokratischer Vorgänge zuständig sind, die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, können hier Engpässe entstehen. Und das verzögert oder verhindert gar die Integration etwa auf dem Arbeitsmarkt.
6. Blick in die Zukunft
Rund drei Viertel der Kommunen geben an, dass sie bereits Vorbereitungen treffen, ihre Aufnahmekapazitäten auszubauen – in Westdeutschland sind es sogar 85 Prozent. Wohnungen oder Grundstücke werden angemietet oder gekauft, kommunale Gebäude umgenutzt und neue Containerunterkünfte gebaut. Parallel werden neue Unterbringungskonzepte und Notfallpläne entwickelt (zum Beispiel für den Betrieb von Turnhallen oder die Umrüstung anderer kommunaler Gebäude als Sammelunterkünfte) und Aufnahme- und Versorgungsprozesse optimiert.
Von Bund und Ländern wünschen sich die Kommunen bessere finanzielle und personelle Unterstützung. Wenn es darum geht, was ihnen helfen würde, nennen die meisten Kommunen eine Begrenzung der Zuwanderung – und damit weniger Zuweisungen, besonders von Asylsuchenden mit geringer Bleibeperspektive.
Von Narges Bartetzko, Fabio Ghelli, Andrea Pürckhauer und Lina Steiner
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