Wie viele Kommunen sind mit der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten überfordert? Und was könnte ihnen helfen, mit der Lage klarzukommen? Das war Thema eines MEDIENDIENST-Pressegesprächs vor dem "Migrations-Gipfel" von Bund und Ländern. Grundlage für die Diskussion war eine bundesweite Online-Umfrage der Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim und des MEDIENDIENSTES, an der sich im Oktober mehr als 600 Kommunen beteiligt haben. "Die Lage ist aus Sicht der Kommunen flächendeckend angespannt", fasst Boris Kühn von der Universität Hildesheim die Ergebnisse zusammen.
Sechs von zehn Kommunen bezeichnen Lage als "(noch) machbar"
Angespannt ja, aber nicht durchweg im Krisenmodus: Die Mehrheit der Kommunen – 60 Prozent – beschreibt die Lage als "herausfordernd, aber (noch) machbar". 40 Prozent berichteten hingegen von "Überlastung" und sahen sich "im Notfallmodus". Am häufigsten bringen Kommunen Geflüchtete in privat angemieteten oder kommunalen Wohnungen unter. Mehr als die Hälfte der Kommunen (55 Prozent) nutzen keine Notunterkünfte. Als häufigste Form der Notunterbringung sind Container verbreitet. Die Nutzung von Turnhallen bleibt offenbar die Ausnahme. Nur sechs Prozent der Kommunen gaben an, diese als Bleibe für Geflüchtete zu nutzen.
Ob eine Kommune sich als überlastet ansieht, hat laut der Umfrage nur wenig damit zu tun, ob sie Notunterkünfte nutzt. Hier gebe es nur einen "schwachen Zusammenhang", sagt Wissenschaftler Kühn. Eine mögliche Erklärung sieht er darin, dass Container von den Verantwortlichen weniger als Notfalllösung angesehen würden als Zelte oder Turnhallen.
In den Unterkünften wohnen auch viele Geflüchtete aus der Ukraine
Dass es in den kommunalen Unterkünften voll wird, liegt nicht nur an den neu angekommenen Asylsuchenden. Zum Teil seien Gemeinschaftsunterkünfte noch stark belegt von Geflüchteten aus der Ukraine, die 2022 nach Deutschland kamen, sagt Birgit Glorius, Professorin für Humangeographie und Migrationsforscherin an der Technischen Universität Chemnitz. Anfangs seien viele Ukrainerinnen und Ukrainer erstmal privat untergekommen, hätten dann aber später bei den Kommunen eine Bleibe gesucht.
Hinzu kommt ein Phänomen, das Glorius als "Overstayer" beschreibt: Dabei handelt es sich um Menschen, die bereits einen Flüchtlingsstatus haben, aber noch keine eigene Wohnung gefunden haben. Nicht immer seien private Vermieter bereit, einer Flüchtlingsfamilie oder alleinreisenden Geflüchteten eine Wohnung anzubieten. Bewährt habe sich, wenn Ehrenamtliche bei der Wohnungssuche unterstützen. Manche Kommunen stellten auch Sozialarbeiter*innen für diese Aufgabe ein. "Das funktioniert gut", sagt Glorius.
Kommunen fordern "nachhaltige Finanzierung"
Damit die Kommunen besser auf veränderte Zahlen bei der Aufnahme von Geflüchteten reagieren können, ist aus Sicht von Miriam Marnich vom Deutschen Städte- und Gemeindebund ein "Frühwarnsystem" notwendig. Die Kommunen benötigten eine "nachhaltige Finanzierung" nicht nur bei den Kosten der Unterbringung, sondern auch für Kita- und Schulplätze. In den letzten Monaten habe sich die Situation auf kommunaler Ebene zugespitzt. "In den Kommunen droht die Akzeptanz für die Aufnahme zu schwinden", sagt Marnich. Nötig sei eine "deutliche" Begrenzung der Migration.
Immerhin können Kommunen zum Teil auf Strukturen bauen, die in den letzten Jahren aufgebaut wurden."Das können zum Beispiel Dolmetscherpools sein, die wieder reaktiviert und aufgestockt werden", sagt Denis Zeković vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Im Forschungsprojekt "Nach der Krise ist vor der Krise" untersucht das DeZIM, wie Kommunen resilienter werden und flexibler reagieren können. Ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial sieht Zeković in einer besseren Vernetzung zwischen Stadtverwaltung und Stadtgesellschaft – etwa mit Vereinen, NGOs und Migrantenselbstorganisationen, die im Bereich der Integration tätig sind.
Von Cordula Eubel
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