MEDIENDIENST INTEGRATION: Frau Koch, ist das Aufnahmesystem bei Ihnen am Anschlag?
Miriam Koch: Es war und ist harte Arbeit, so viele Geflüchtete aufzunehmen. Als im ersten Halbjahr 2022 hunderttausende ukrainische Kriegsgeflüchtete nach Deutschland kamen, wussten wir: Wir stehen vor einer noch größeren Herausforderung als 2015-2016. In Düsseldorf gab es schon vor dem Krieg die größte ukrainische Community in Nordrhein-Westfalen – und viele Ukrainer*innen wollten zu ihren Bekannten und Verwandten. Wir haben 2022 insgesamt rund 10.000 Menschen untergebracht. Trotzdem hat das Aufnahmesystem funktioniert. Und es funktioniert immer noch.
Wie haben Sie es geschafft, so viele Menschen in so kurzer Zeit unterzubringen?
Die Bedingungen waren nicht einfach. Es gibt in Düsseldorf fast keinen leerstehenden Wohnraum. Die Aufnahmekapazitäten, die wir 2015 und 2016 geschaffen hatten, hatten wir auch schon wieder reduziert. Deshalb haben wir beschlossen, uns an Hotels und später auch an Apartmenthäuser zu wenden – und haben diese im großen Umfang angemietet. Als klar wurde, dass die meisten Menschen eine langfristige Bleibe benötigen, hatte dies den Vorteil, dass es in den Wohneinrichtungen zum Beispiel eine Küche gab, um sich selbst zu versorgen.
MIRIAM KOCH ist Beigeordnete für Kultur und Integration der Landeshauptstadt Düsseldorf. Zwischen 2015 und 2018 war sie Flüchtlingsbeauftragte der Stadt Düsseldorf.
Wer hat das Ganze koordiniert?
Wir haben innerhalb von wenigen Tagen ein interdisziplinär arbeitendes Team sowie eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet, die sich nur mit der Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine beschäftigt hat. Dazu gehörten Personen aus verschiedenen Organisationseinheiten: Ausländerbehörde, Wohnungsamt, Feuerwehr, Jugend- und Sozialamt und später auch beispielsweise das Jobcenter. Es gab Kolleg*innen, die systematisch alle Hotels abtelefoniert haben. Wir haben zudem das Tourismusportal der Stadt genutzt, um freie Zimmer und Apartments zu finden.
Gab es also genug Platz für alle in Düsseldorf?
Nein. Da war vor allem am Anfang der Beitrag der umliegenden Kommunen und später auch der des Landes entscheidend. Zum Teil hatten wir das schon 2015-2016 geübt. Krisenstäbe aus mehreren Kommunen haben sich bei uns gemeldet und gesagt: Wir haben hier Leerraum und können gerne einige Personen aufnehmen. Oder umgekehrt: Wir haben angefragt. Dann haben wir mithilfe von Bussen der Rheinbahn und Taxis ein Shuttle-System für die Verteilung eingerichtet. Das hatten wir auch 2015-2016 schon mal geübt.
Die Erfahrung des "Flüchtlingssommers" 2015-2016 war also entscheidend?
Auf jeden Fall. Doch diesmal hatten wir einen Vorteil: Geflüchtete aus der Ukraine haben aufgrund der visafreien Einreise und der sogenannten Massenzustromrichtlinie die Möglichkeit – direkt und ohne einen Asylantrag zu stellen – einen Aufenthaltstitel zu bekommen, mit dem sie beispielsweise auch unmittelbar einen Integrationskurs besuchen oder einen Job antreten können. Hätten wir diese Möglichkeit 2015-2016 gehabt, hätte die Aufnahme und Erstintegration damals auch besser funktioniert. Da fragt man sich natürlich: Warum kann das nicht auch für Schutzsuchende aus Syrien oder Afghanistan gelten?
Einige würden sagen: Kein Wunder, dass in Düsseldorf alles prima funktioniert. Es ist eine reiche Stadt...
Es stimmt, dass wir andere finanzielle Voraussetzungen als andere Kommunen haben, wobei auch wir beispielsweise durch die Pandemie bereits sehr stark finanziell belastet sind. Dennoch sind wir ein wirtschaftsstarker Standort. Das hat aber Vorteile und Nachteile: Auf der einen Seite verfügen wir über mehr finanzielle Mittel. Auf der anderen Seite sind die Kosten für Wohnraum und Infrastruktur entsprechend höher.
Wer trägt die Kosten der Flüchtlingsaufnahme?
In erster Linie die Landeshauptstadt Düsseldorf. Wir rechnen damit, dass rund ein Drittel der Ausgaben von Landes- und Bundeszuweisungen abgedeckt werden. Das Land Nordrhein-Westfalen erstattet uns zum Beispiel eine Pauschale von 1.125 Euro pro Person. Darüber hinaus gibt es Erstattungen für Krankenkosten und andere Ausgaben. Dies ist dennoch nur ein Teil der eigentlichen Ausgaben.
Länder und Kommunen plädieren dafür, die "Pro-Kopf Pauschale", die es bis 2021 bundesweit gab, wieder einzuführen. Wäre das eine Lösung?
Eine "Pro-Kopf Pauschale" kann vielen Ländern und Kommunen helfen. Unterschiedliche Länder und Kommunen haben dennoch unterschiedliche Bedingungen. Allgemein geltende Lösungen bringen nicht viel. Wenn es darum geht, Länder und Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten zu unterstützen, müssen wir damit anfangen, die Situation vor Ort zu verstehen: Über welche Mittel verfügt die Kommune? Und was braucht sie, um den Menschen nicht nur ein Dach über dem Kopf sondern auch Integrationsangebote oder Kitaplätze anzubieten? Deshalb ist auch der sogenannte Königsteiner Schlüssel nicht besonders hilfreich, wenn es darum geht, Geflüchtete gerecht zu verteilen. Denn es gibt Kommunen, die schon Schwierigkeiten haben, wenige hundert Menschen aufzunehmen – und andere, die noch mehr Geflüchtete aufnehmen könnten.
Interview: Fabio Ghelli
Wie viele Geflüchtete leben in Düsseldorf?
In Düsseldorf leben rund 13.000 anerkannte Flüchtlinge und mehr als 8.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Hinzu kommen rund 1.000 Personen im Asylverfahren und 2.000 Geduldete (Stand: 30.4.2023). Sie wohnen in Gemeinschaftsunterkünften, Apartmenthäusern, und wohnungsähnlichen Unterbringungsformen und zum Teil in eigenen Wohnungen. Zwischen März und Mai 2022 gab es zudem eine Notunterkunft mit mehr als 1.500 Plätzen in einer Messehalle. Die Stadt hat – Stand Mai 2023 – deutlich mehr Geflüchtete aufgenommen als gesetzlich vorgesehen und die "Aufnahmeverpflichtung" zu knapp 137 Prozent erfüllt.
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