Geflüchtete fangen in Deutschland später an zu arbeiten als in anderen europäischen Ländern. Könnte eine flächendeckende "Arbeitspflicht" für Asylbewerber*innen dafür sorgen, dass sie schneller in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden? Politiker*innen, kommunale Spitzenverbände und Expert*innen sind da unterschiedlicher Meinung. Schon heute machen die Kommunen eher im Ausnahmefall von der Möglichkeit Gebrauch, sogenannte Arbeitsgelegenheiten zu schaffen. Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt: Für die Kommunen bedeutet das Mehraufwand – und erleichtert nur selten den Zugang zum Arbeitsmarkt.
Was heißt „Arbeitspflicht“?
Zunächst: Arbeitspflicht heißt nicht, dass Menschen gezwungen werden, zu arbeiten. Das ist explizit vom Grundgesetz ausgeschlossen (Artikel 12). Empfänger*innen von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II §16d) oder Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG §5) können sogenannte Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden. Diese sind in der Regel gemeinnützige Tätigkeiten, die nur für einen bestimmten Zeitraum vorgesehen sind.
Zwischen Arbeitsverbot und Arbeitspflicht?
Erfahrungen aus den DRK-Beratungsstellen zeigen: Bei den meisten Asylbewerber*innen ist der Wunsch groß, eine reguläre Arbeit aufzunehmen. Sie dürfen allerdings erst sechs Monate nach Ankunft arbeiten, wenn sie in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen. Diese Frist wurde in diesem Jahr reduziert – davor galt das Arbeitsverbot neun Monate. Eine sogenannte Arbeitsgelegenheit auszuüben, ist vor dieser Frist möglich. Bei den Bewohner*innen von Aufnahmeeinrichtungen stoße das auf Interesse, heißt es beispielsweise beim DRK Hessen. "Aus der Erfahrung können wir sagen, dass die Leute für die Arbeitsangebote Schlange gestanden haben – denen fällt schlicht die Decke auf den Kopf.“
Kann man Asylbewerber*innen verpflichten, zu arbeiten?
Arbeitsfähige Asylbewerber*innen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, können laut Asylbewerberleistungsgesetz schon heute in begrenztem Umfang zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden. Das können Hausmeistertätigkeiten in der Unterkunft sein, aber auch Arbeiten in der Kommune oder bei einem sozialen Träger, von der Kleiderkammer bis zur Reinigung von Parks. Asylbewerber*innen erhalten eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent je Stunde. Bisher wurden Arbeitsgelegenheiten für Asylsuchende oft an Personen vergeben, die sich freiwillig dafür melden – so etwa im Berliner Programm "gemeinnützige Arbeit". Arbeitsgelegenheiten sind bei kommunalen, staatlichen oder gemeinnützigen Trägern möglich. Ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts, also eine reguläre Beschäftigung mit Arbeitsvertrag, ist dabei nicht vorgesehen.
Was passiert, wenn sie nicht arbeiten?
Wenn sich Leistungsempfänger*innen unbegründet weigern, eine Arbeitsgelegenheit anzunehmen, können die zuständigen Kreise und Kommunen ihre Leistungen kürzen. Das heißt: Sie können nur Sachleistung für Ernährung und Unterkunft bekommen. Ob Sanktionen rechtlich Bestand haben, ist fraglich: "Schon jetzt liegen die Asylbewerberleistungen sehr nah am sogenannten Existenzminimum – vor allem für Schutzsuchende in Gemeinschaftsunterkünften", sagt Rechtswissenschaftlerin Anuscheh Farahat. Das Bundesverfassungsgericht hat 2012 in einem Urteil ausgeschlossen, dass Leistungen aus migrationspolitischen Gründen unter dieses Minimum sinken dürfen.
Welche Erfahrungen gibt es mit gemeinnütziger Arbeit?
Im Jahr 2016 legte die Bundesregierung ein Programm auf, mit dem jedes Jahr 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber*innen geschaffen werden sollten. Weil sich wegen des Flüchtlingszuzugs Asylverfahren in die Länge zogen, sollte die Wartezeit mit den "Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen" (FIM) überbrückt werden. Doch die Resonanz blieb gering. Von September 2016 bis Dezember 2020 fingen laut Bundesagentur für Arbeit (BA) 39.442 Personen eine solche Maßnahme an. Laut Statistischem Bundesamt bekamen Ende 2022 bundesweit nur 4.675 Asylsuchende Geld für Arbeitsgelegenheiten bezahlt.
Warum werden Arbeitsgelegenheiten so wenig genutzt?
Die Erfahrung vieler Kommunen zeigt: Es ist schwierig, Asylbewerber*innen in großer Zahl zu vermitteln – und noch schwieriger, sie zur Arbeit zu verpflichten. Ein Grund sei, dass kommunale Abteilungen wie etwa der Bauhof ungern Personen beschäftigen, die zur Arbeit verpflichtet wurden, sagt Boris Kühn, ehemaliger Flüchtlings- und Integrationsbeauftragter der Stadt Mössingen und jetzt Migrationsforscher an der Universität Hildesheim. Ein weiterer Grund sei, dass es für die Kommunen sehr aufwendig sei, Asylsuchende in Arbeitsgelegenheiten zu vermitteln, sie zu betreuen und eventuell Sanktionen zu verhängen.
"Arbeitgeber sind sehr zurückhaltend, wenn sie nicht sicher sein können, ob die Person in Deutschland bleibt oder abgeschoben wird", sagt Rüdiger Wapler vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Dadurch hätten potentielle Arbeitgeber sehr wenig Planungssicherheit. Hinzu kommt: Arbeitsgelegenheiten sollen regulär bezahlter Arbeit keine Konkurrenz machen. Sie sollen "wettbewerbsneutral" sein: Das heißt, Asylsuchende sollen beispielsweise keine Gartenarbeit machen, wenn es eine Gartenbaufirma gibt, die dafür einen Auftrag hat.
Fördern Arbeitsgelegenheiten die Integration in den Arbeitsmarkt?
Die Bilanz von Arbeitsmarktforscher*innen fällt eher negativ aus – ob bei Geflüchteten oder Arbeitslosen: "Wer eine Arbeitsgelegenheit ausübt, hat es schwerer, eine reguläre Arbeit zu finden", sagt Wapler. Das liegt am sogenannten "Lock-in-Effekt" - die Teilnehmenden können sich während der Maßnahme nicht um die Stellensuche kümmern. Aber auch danach benötigen sie Zeit, um den Beschäftigungsrückstand gegenüber anderen Personen aufzuholen. Das Instrument werde in der Arbeitsmarktpolitik nur eingesetzt für "arbeitsmarktferne" Personen, sagt Wapler. In vielen Fällen steht bei Arbeitsgelegenheiten eher die soziale Teilhabe im Vordergrund – etwa in Form von Anerkennung oder sozialen Kontakten. Doch bei Geflüchteten wurde auch dieses Ziel nicht erreicht.
Eine Studie, in der arbeitsmarktpolitische Integrationsmaßnahmen in den Jahren 2017/2018 untersucht wurden, stellte sogar eine Verschlechterung bei den Sprachkenntnissen fest. "Das lag wahrscheinlich daran, dass die Geflüchteten bei der Arbeit wenig Kontakt zu Menschen hatten, die Deutsch sprachen. Zum Teil wurde die Maßnahme auch als Überbrückung zu einem Sprachkurs verwendet", sagt Arbeitsmarktforscher Wapler. Sprache sei aber ein wesentlicher Schlüssel für die Arbeitsmarktintegration.
Stimmt es, dass Geflüchtete in Deutschland spät zu arbeiten anfangen?
Es stimmt, dass in anderen europäischen Ländern Geflüchtete im Durchschnitt früher anfangen zu arbeiten als in Deutschland. Das liege aber in erster Linie daran, dass Deutschland ein Integrationsmodell anwendet, das sich zunächst auf den Spracherwerb konzentriert, sagt Arbeitsmarktforscherin Yuliya Kosyakova (IAB). Dadurch können ankommende Asylsuchende langfristig ihr Potenzial auf dem hiesigen Arbeitsmarkt effektiver nutzen.
Von Cordula Eubel, Fabio Ghelli und Carsten Wolf
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