Noch vor fünf Jahren lag die Zahl der Asylbewerber bei etwas über 30.000 – pro Jahr. In dieser Zeit sank auch die Zahl der Asylentscheider und Unterkünfte, die Infrastruktur wurde nach und nach abgebaut. Inzwischen ist die Zahl enorm gestiegen, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhält über 20.000 Anträge – pro Monat. Die Frage, wo die Neuankömmlinge untergebracht werden sollen, beschäftigt immer mehr Städte. In einem Appell an Bund und Länder schrieb der Deutsche Städtetag, dass die Kapazitäten, um Asylbewerber unterzubringen, vielerorts ausgeschöpft seien.
Im Normalfall werden die Antragsteller für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, die direkt von den Bundesländern finanziert werden. Diese sind nach Angaben des Städtetags fast überall voll. So werden die Asylbewerber zurzeit bereits nach zwei Wochen in so genannte Anschlussunterbringungen (Gemeinschaftsunterkünfte oder einzelne Wohnungen) ausgelagert, die von den Kommunen verwaltet werden.
Die wachsende Anzahl von Asylsuchenden fordert also in erster Linie Kommunen und Städte heraus – und bringt sie an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Einige Beispiele: In Berlin blieb kürzlich die zentrale Erstaufnahmestelle wegen Überlastung mehrere Tage geschlossen. Auch in einigen Kommunen in Hessen, Bayern und Nordrhein-Westfalen wurden vorübergehend Aufnahmen gestoppt. Statt in Erstaufnahmeeinrichtungen wurden Asylbewerber in Zeltlager, Kasernen und Kliniken ausgelagert. In Hamburg sollen sie bald sogar auf Schiffen einquartiert werden.Quelle
Mehr Wohnheime, weniger Regeln
Der Städtetag fordert deshalb den Ausbau der Aufnahmeeinrichtungen der Länder sowie mehr Investitionshilfen, um die Angebote für kommunale Unterkünften zu erweitern. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hat bereits angeboten, den Kommunen bei der Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten zu helfen. Vergangene Woche stellte die Stadt Hamburg einen Gesetzesantrag im Bundesrat, um eine Lockerung der Bauvorschriften für Asylbewerber-Unterkünfte zu fordern. Demnach sollen die Kommunen schnell und ohne große Auflagen neue Unterbringungsmöglichkeiten schaffen können.
Bei der Suche nach kurzfristigen Lösungen könnten allerdings menschenrechtliche Standards schnell in den Hintergrund rücken, warnt das Deutsche Institut für Menschenrechte. Für den Asylpolitik-Experten des Instituts, Hendrik Cremer, ist die Lage bereits alarmierend. "In vielen Einrichtungen sind die Lebensbedingungen schon jetzt schwierig: In den Notunterkünften fehlen oftmals hygienische Einrichtungen wie Duschen und Toiletten. In den Gemeinschaftsunterkünften wird der Lebensraum immer knapper."
Keine einheitlichen Mindeststandards
Das Problem: In Deutschland gibt es zurzeit keine einheitliche Mindeststandards für die Unterbringung von Asylbewerbern. Nach den Landesaufnahmegesetzen müssen die Länder für einen "menschenwürdigen" Umgang mit Flüchtlingen sorgen, beziehungsweise, sie sollen dafür sorgen, dass den Asylbewerbern ein "menschenwürdiger Aufenthalt ohne gesundheitliche Beeinträchtigung" gewährleistet wird. Jedes Bundesland verwendet allerdings eine eigene Formulierung. In der europäischen Aufnahmerichtlinie heißt es lediglich, die Mitgliedstaaten müssen "geschlechts- und altersspezifische Aspekte sowie die Situation von schutzbedürftigen Personen" berücksichtigen.
Dabei gibt es in den internationalen Konventionen zum Schutz der Menschenrechte, die Deutschland mitunterschrieben hat, klare Vorgaben dazu, wie ein Land die Menschenwürde der Asylbewerber schützen muss. Zu diesen Rechten gehören etwa das Recht auf Wasser und Sanitärversorgung, das Recht auf Gesundheit und auf Schutz vor Gewalt und sexuellen Übergriffen.
"Wir brauchen klare, verbindlich vorgeschriebene Standards für die Unterbringung von Asylbewerbern", sagt Cremer. "Standards für Raumgrößen, Gemeinschaftsräumen, sanitären Anlagen, Kochgelegenheiten oder Spielmöglichkeiten für Kinder. Auch die Sicherheit und Privatsphäre der Menschen ist oft nicht gewährleistet. Insbesondere alleinstehende Frauen sind der Gefahr sexueller Übergriffe ausgesetzt." Wichtig sei auch, wo die Asylbewerber-Unterkünfte errichtet werden. "Werden Unterkünfte an den Rändern von Städten errichtet, können die Kinder der Asylbewerber möglicherweise nicht zur Schule gehen. Dadurch würde ihr Recht auf Bildung faktisch vereitelt." Ein erster Schritt in diese Richtung wäre, die Mindestanforderungen für Asyl-Unterkünfte in den Landesaufnahmegesetzen zu vereinheitlichen.
Von Fabio Ghelli
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