Wenn Einwanderer ihre Ehepartner und Kinder legal in die USA nachholen möchten, dauert dieser Prozess bis zu zwei Jahre. Sollten die Kinder bereits erwachsen sein, müssen sie zwischen acht und 20 Jahren warten. Um solche Wartezeiten zu umgehen, wählen einige den radikalen Weg und wandern ohne Genehmigungsstempel ein. Doch das ist nur einer von vielen Gründen, weshalb mittlerweile schätzungsweise rund elf Millionen irreguläre Einwanderer in den USA leben. Das Einwanderungssystem der nation of immigrants muss reformiert werden. Nur wie?
Die Hauptakteure in der Einwanderungsdebatte
Konkrete Lösungsvorschläge kommen derzeit aus drei Lagern: Am 29. Januar 2013 stellte Barack Obama erste Grundrisse seiner Reformagenda bei einer Rede in Las Vegas vor. Am Tag zuvor hatte die Gang of Eight, eine achtköpfige Gruppe aus republikanischen und demokratischen Senatoren, einen ersten Entwurf ihrer Reformvorstellungen präsentiert, der weitgehend mit Obamas Vorhaben übereinstimmt. Auch das Repräsentantenhaus bemüht sich unter der Leitung seines Sprechers John Boehner um einen Kompromiss beider Parteien und hat ein ähnliches Reformkonzept vorgestellt.
Das parteiübergreifende Auftreten ist geradezu revolutionär, galt die Einwanderungsdebatte doch bis vor kurzem noch als ein Paradebeispiel für mangelnde Zusammenarbeit in der amerikanischen Politik. Der letzte gemeinsame Versuch, das Einwanderungssystem mit dem Comprehensive Immigration Reform Act von 2007 zu reformieren, scheiterte kläglich. Doch 2013 muss der Präsident mit Einwanderungsreformen große Versprechen einlösen. Und die angeschlagene Republikanische Partei möchte lateinamerikanische Wähler gewinnen. Beides lässt verhaltenen Optimismus zu.
Die Kernthemen der Einwanderungsreform 2013
Den wichtigsten und gleichsam kontroversesten Punkt der Reformdebatte stellen die geschätzt elf Millionen Einwanderer ohne gültige Aufenthaltspapiere dar, die derzeit in den USA leben. Die Reform soll ihnen die Legalisierung ermöglichen. Schrittweise sollen sie sich registrieren, Hintergrundüberprüfungen über sich ergehen lassen und Strafzahlungen tätigen, um sich für einen legalen Status auf Probe zu qualifizieren. Bewerber mit schwerwiegenden Vorstrafen sollen vom Legalisierungsprozess ausgeschlossen und ausgewiesen werden.
Alle "Legalisierten" müssten sich danach – so der amerikanische Wortlaut – "am Ende der Schlange einreihen", also hinter all jenen, die auf legalem Wege versuchen, dauerhaft in die USA einzuwandern. Erst wenn deren Anträge abgearbeitet sind, weitere Überprüfungen abgeschlossen und alle Kriterien erfüllt sind (Englischkenntnisse, Arbeitsnachweise etc.), könnten sich Nachrücker Hoffnung auf eine Greencard machen. Und damit langfristig auf die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Die Reform von 2013 soll überdies dafür sorgen, dass die USA sich im Wettbewerb um die Toptalente der Weltwirtschaft nicht länger selbst im Weg stehen. Darum soll z.B. ausländischen Studenten, die an amerikanischen Universitäten in gefragten Fächern wie Mathematik oder Ingenieurwissenschaft mit einem Master oder Ph.D. abschließen, automatisch eine Greencard angeboten werden. So will man sicherstellen, dass diese oft hoch qualifizierten Absolventen künftig auch in den USA arbeiten, anstatt mit dem erworbenen Wissen ins Ausland abzuwandern.
Ein weiterer zentraler Punkt der Reform von 2013 ist die Einführung eines einheitlichen Verifikationssystems, mit dem Arbeitgeber den legalen Status ihrer Arbeiter überprüfen müssen. Damit soll der Beschäftigung von Einwanderern ohne Genehmigung im Niedriglohnsektor entgegengewirkt werden. Letztere halten der Präsident, die Gang of Eight sowie die Gruppierung um John Boehner für einen Hauptgrund für die irreguläre Einwanderung.
Außerdem soll das System dafür sorgen, dass genau diejenigen Arbeitgeber die volle Härte des Gesetzes trifft, die vorsätzlich irreguläre Immigranten beschäftigen. Insgesamt will man ein flexibleres Einwanderungssystem schaffen, das gleichsam die Rechte amerikanischer Arbeitnehmer schützt und es amerikanischen Unternehmen erlaubt, in Zeiten von hohem Arbeiterbedarf vermehrt aus dem Ausland einzustellen.
Die Kontroversen der Einwanderungsreform 2013
Trotz aller Aufbruchsstimmung steht die schwierigste Phase der Einwanderungsreform noch bevor. Am 17. April 2013 stellte die Gang of Eight ihren Gesetzesentwurf vor, den The Border Security, Economic Opportunity, and Immigration Modernization Act of 2013. Es bleibt abzuwarten, ob es den Demokraten gelingen wird, im Repräsentantenhaus genügend republikanische Stimmen für die Neuregelung des Einwanderungssystems auf ihre Seite zu bringen. Für Republikaner ist sie ein Drahtseilakt: Man will bei lateinamerikanischen Wählern punkten, ohne dabei die eigene Basis zu verstimmen. Viele Erzkonservative lehnen Legalisierungen kategorisch ab, da sie diese als unfaire Belohnung für Gesetzesbrecher interpretieren, die langfristig zu noch mehr irregulärer Einwanderung führen würde.
Die Redakteure des konservativen National Review stellten zudem die These auf, dass ein Großteil der Lateinamerikaner auch im Fall einer republikanisch unterstützten Einwanderungsreform weiterhin demokratisch wählen würde. Ein anderer, zentraler Knackpunkt ist der Grenzschutz: Nach Meinung der Gang of Eight müssten unter anderem erst die Grenze zu Mexiko gesichert und Visa strenger überwacht werden, bevor Greencards vergeben werden könnten. Barack Obama und die Gruppe um Boehner möchten beides zugleich angehen. Weitere Fragen, wie z.B. die, ob Menschen mit nachträglich erteilter Aufenthaltsgenehmigung in einer Übergangszeit ein Recht auf Sozialleistungen haben und wie viele Visa zukünftig an Agrararbeiter ausgehändigt werden dürfen, sorgen ebenfalls für reichlich Diskussionsbedarf.
Amerikanische Reform und Perspektiven für Europa
Einige der Konstellationen in den USA sind auch aus europäischer Sicht interessant: Die schiere Größe und die unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen US-Bundesstaaten erschweren einheitliche Einwanderungslösungen. Die Europäische Union, die zumindest theoretisch das Ziel verfolgt, in Zukunft für alle Mitgliedsstaaten geltende Einwanderungsrichtlinien festzulegen, sollte aus den amerikanischen Entscheidungsprozessen lernen – denn Amerika und Europa stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Ebenso wie die USA leiden auch die EU-Staaten unter den Folgen der Wirtschaftskrise.
Einwanderungsreformer auf beiden Seiten des Atlantiks müssen Aufklärungsarbeit leisten und erklären, warum zukunftsorientierte Einwanderungsplanung gerade zu Krisenzeiten notwendig ist, um wettbewerbsfähig zu sein. Der Migrationsforscher Demetrios Papademetriou weist in einem Artikel darauf hin, dass auch die US-Reform von 2013 keine perfekte Dauerlösung sein wird. Und dass jedes Einwanderungssystem flexibel bleiben und ständigen Änderungen unterworfen werden müsste, um funktionsfähig zu sein. Eine Philosophie, die sich auch auf Europa anwenden ließe.
Timo Tonassi ist Amerikanist und Germanist und hat an der "Graduate School of North American Studies" der Freien Universität Berlin promoviert. Seine Dissertation analysiert das Zusammenspiel von Nativismus und Massenmedien in Amerika.
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