Die Wiederwahl Barack Obamas hat ein Sorgenkind der amerikanischen Politik zurück auf die nationale Agenda gehievt: Die Einwanderungsreform. In den nächsten Monaten muss der Präsident seinem inzwischen einige Jahre alten Versprechen, er werde das veraltete Einwanderungssystem Amerikas erneuern, Taten folgen lassen. Dass diese Erneuerung kein leichtes Unterfangen ist, wurde zuletzt 2007 deutlich. Als unter George W. Bush Einwanderungsreformen parteiübergreifend in Planung waren, mobilisierten Einwanderungsgegner ihre Netzwerke und trugen maßgeblich zum Scheitern der geplanten Reformen bei, die unter anderem Legalisierungsmöglichkeiten für "illegale" (irreguläre) Migranten vorsahen.
Das Verhalten besonders radikaler Ausläufer der damaligen Protestbewegung wurde von liberalen Kritikern, Journalisten und anderen Meinungsträgern oft als "nativistisch" bezeichnet – frei übersetzt: einwanderungsfeindlich. Nativismus hat im Einwanderungsland Amerika durchaus Tradition. Der amerikanische Historiker John Higham, der den Begriff in den 50er Jahren entscheidend prägte, verstand unter Nativismus den „heftigen Widerstand gegen eine im Land lebende Minderheit, basierend auf deren ausländischer ('unamerikanischer') Verbindungen".
Higham stellte fest, dass sich Nativisten im Verlauf der amerikanischen Geschichte, insbesondere in Krisenzeiten, wahlweise gegen religiöse, ethnische und auch politische Minderheiten organisierten. Aus seinen und anderen Analysen wird deutlich, dass Nativisten stets darauf bedacht waren, ihre Ideologie über die Medien zu verbreiten.
Dies war auch 2007 der Fall. Ein einflussreicher Einwanderungsreform-Gegner war damals beispielsweise der amerikanische Fernsehjournalist Lou Dobbs. Seine Nachrichtenshow "Lou Dobbs Tonight" lief jeden Wochentag auf Amerikas Traditionssender CNN und stellte regelmäßig illegale, meist mexikanische Einwanderer als gewaltbereite und korrupte Invasoren dar. Er kriminalisierte die sogenannten "illegal aliens", denen das Reformpaket helfen sollte. Zudem sorgte Dobbs für Aufsehen, in dem er radikale Migrationsgegner einlud. Obwohl Kritiker Dobbs öffentlich vorwarfen, sich insbesondere in seinen Beiträgen zur illegalen Immigration alter nativistischer Muster und Ängste zu bedienen, ließ der Sender Dobbs – nicht zuletzt wegen dessen hervorragender Einschaltquote – über Jahre gewähren.
Nativistisches Gedankengut wird im multikulturellen Amerika des 21. Jahrhunderts, aber auch in Europa immer noch reproduziert, wie zuletzt der Politikwissenschaftler Cas Mudde in einem interessanten Vergleich zeigte. Massenmedien spielen hierbei auf beiden Seiten des Atlantiks eine komplizierte Rolle. Grundsätzlich kommen viele deutsche und amerikanische Studien zu dem Ergebnis, dass die Darstellung von Migration in Massenmedien häufig negativ ausfällt, wobei nicht jede negative Schlagzeile nativistisch motiviert sein muss.
In Deutschland gab es zwar keine vergleichbare TV-Sendung wie "Lou Dobbs Tonight", die inzwischen täglich auf "Fox News" gesendet wird, aber es gibt vergleichbare Migrationsdiskurse. Selten verliefen sie jedoch so unverblümt, wie bei Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ von 2010. Darin argumentiert Sarrazin, das Fortbestehen Deutschlands werde durch islamische Zuwanderung bedroht. Das Buch wurde über 1,5 Millionen Mal verkauft und entwickelte sich zu einem Topthema der deutschen Medienlandschaft.
Sarrazins Argumente weisen interessante inhaltliche Parallelen zum modernen, wie auch altmodischen Nativismus auf – vor allem unter dem Stichwort "Genetik". Wie US-Nativisten weist auch der deutsche Autor fremdenfeindliches Gedankengut von sich und stützt seine Kritik auf emotionale Gesellschaftsthemen wie Gewalt, wirtschaftlichen Verfall oder den Missbrauch von Sozialleistungen. Auch Sarrazin mischt Apokalyptisches mit Wissenschaftlichkeit und glaubt, eine Gruppe – in seinem Fall Muslime – gefunden zu haben, die nicht demokratiefähig bzw. integrierbar ist.
Was bewirken "nativistische" Argumente in Massenmedien?
Die unmittelbaren Konsequenzen nativistischer Berichterstattungen bleiben oftmals verborgen, da die Wirkungsprozesse von Massenmedien, wie es der Soziologe Rainer Geißler formuliert, „so komplex und von so vielen verschiedenen Faktoren abhängig [sind], dass man sie empirisch-theoretisch kaum in den Griff bekommt". Wann genau ein medialer Diskurs zu Einwanderung in Fehlinformation und Diskriminierung umschlägt und inwiefern das die öffentliche Meinung beeinflusst, kann nicht eindeutig beantwortet werden.
Wie eine Studie des German Marshall Funds kürzlich zeigte, ist die Befürchtung relativ unbegründet, dass ein Medienspektakel à la Sarrazin die öffentliche Meinung quasi im Alleingang manipulieren könnte. Auch hat Lou Dobbs das Scheitern der amerikanischen Einwanderungsreform von 2007 nicht allein bewirkt. Anderseits wäre es aber fahrlässig, daraus abzuleiten, Medien würden die öffentliche Meinung nicht beeinflussen.
Es bleibt hochproblematisch, dass in Amerika und Deutschland die Darstellung von Migration im medialen Mainstream – insbesondere die bestimmter Gruppen wie etwa Muslime – oft negativ ausfällt und nativistisch eingefärbte Extrempositionen Verkaufspotenzial haben. Folgt man den Annahmen der Medienwissenschaft, die von einem Wirkungsverhältnis zwischen Medien und Meinungsbildung ausgehen, ist mindestens zu befürchten, dass zahlreiche Medienkonsumenten über ein gewisses Maß an negativer Vorsensibilisierung zum Thema Migration verfügen.
Solche Vorsensibilisierungen, auch kumulative Effekte genannt, können dazu führen, dass radikale Stimmen im Migrations-Diskurs immer seltener als solche wahrgenommen werden. Auch wenn Leser und Zuschauer nicht willkürlich beeinflussbar sind, ist anzunehmen, dass die Hemmschwelle weiter sinkt, radikale Positionen als sagbar und normal anzunehmen. Kritiker wie Dobbs und Sarrazin öffneten diesem Trend die Türen.
Es bleibt abzuwarten, wie stark sich diese Umstände auf die nun anlaufende Einwanderungsdebatte in den USA auswirken. Dass sie Einfluss nehmen werden, steht außer Frage.
Timo Tonassi ist Amerikanist und Germanist und hat an der "Graduate School of North American Studies" der Freien Universität Berlin promoviert. Seine Dissertation analysiert das Zusammenspiel von Nativismus und Massenmedien in Amerika.
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