Die Diskussion, die derzeit um eine modernisierte Auflage von "Die kleine Hexe" läuft, ist nicht neu: 2009 strich der Oettinger Verlag in den Büchern von Astrid Lindgren einige umstrittene Worte. So ist Pipi Langstrumpfs Vater seither nicht mehr "Negerkönig", sondern "Südseekönig".
Die Erklärung des Verlags dazu verblüfft allerdings: "Diese Begriffe (...) entsprechen im deutschen Sprachgebrauch nicht mehr dem heutigen Menschenbild und können missverstanden werden." Wie es zu diesem Gebrauch kam und wann die Begriffe dem Menschenbild entsprochen haben? "In den 1940er Jahren (...) war in Skandinavien das Wort 'Neger' die übliche Bezeichnung für Menschen mit schwarzer Hautfarbe." Der Verlag betont: Die Autorin selbst sei stets bekannt gewesen für ihre Toleranz und Aufgeschlossenheit "allem Fremden" gegenüber.
Auch der Thienemann-Verlag, der angekündigt hat, die Begriffe "Neger" und "Chinesenmädchen" in "Die kleine Hexe" zu ersetzen, hat eine ähnliche Erklärung: "Es ist Aufgabe eines Kinderbuchverlages, (...) Klassiker so an die Zeitläufe und damit auch sprachliche Veränderungen anzupassen, dass sie für weitere Generationen von Kindern Klassiker bleiben können. Dazu gehört auch, dass Begriffe, die zur Entstehungszeit der Klassiker nicht diskriminierend waren, es in der heutigen Zeit aber eindeutig sind, gestrichen oder ersetzt werden."
Die Wochenzeitung Die Zeit, die das Thema auf ihre Titelseite setzte, spricht gar von "Zensur" und verschriftlicht unter dem Titel "Die kleine Hexenjagd" ebenfalls eine fragwürdige Geschichtsauffassung: Die Bedeutung von "Neger" habe sich "tatsächlich gewandelt". "Heute" sei es ein "herabsetzender Begriff, der sich im respektvollen Umgang miteinander verbietet". In einem literarischen Werk sei er jedoch erlaubt.
"Früher genauso diskriminierend wie heute"
Der Zeithistoriker und Rassismusforscher Christian Geulen kann sich darüber nur wundern. "Zu sagen, diese Begriffe seien zu ihrer Entstehungszeit nicht diskriminierend gewesen, ist eine absurde Argumentation. Das ist eine Verkehrung der Tatsachen. Der Begriff 'Neger' war früher genauso abwertend wie heute und gehörte einem rassistischen Weltbild an, auch wenn man es damals noch nicht so nannte."
Auch Historiker Michael Schubert ist über die Argumente in der aktuellen Debatte irritiert: "Spätestens seit der Neuzeit wurde der Begriff 'Neger' nie neutral verwendet." Er sei unzertrennlich mit Sklaverei und Kolonialismus verbunden. Zur Zeit der Aufklärung seien zudem eindeutig rassistische Klassifizierungen entstanden. "Der 'Neger' stand auf der untersten Stufe der Kultur- und Zivilisationsleiter", sagt Schubert, damit wurde die Herrschaft über die Kolonisierten legitimiert. Mit der panafrikanischen Bewegung hat es bereits seit 1900 Leute gegeben, die den Begriff kritisiert haben. "Auch Ottfried Preußler hätte wissen können, dass er abwertend ist."
Für Schubert steht deswegen fest, dass man bestimmte Wörter in Kinderbüchern streichen oder ersetzen sollte. "In unserer heutigen Sprache haben eindeutig rassistische Begriffe nichts zu suchen." Viele Studien und auch der Erfolg von Thilo Sarrazin hätten gezeigt, dass rassistische und ausländerfeindliche Einstellungen eben nicht aus den Köpfen verschwunden sind. "Das wirft, entgegen der auch in der ZEIT angeführten Argumentation, die Frage auf, wie viele Eltern wirklich in der Lage oder überhaupt Willens sind, ihre Kinder beim Vorlesen auf den diskriminierenden Kontext bestimmter Wörter hinzuweisen.“
Der Autor des Buchs "Geschichte des Rassismus" Christian Geulen dagegen lehnt Neuauflagen von Kinderbüchern ohne die kritischen Wörter ab. "Es ist eine Illusion, dass man dadurch auch die Weltsicht, die in den Büchern mitschwingt, tilgen könnte." Wenn bei Pipi Langstrumpf der "Negerkönig" durch einen "Südseekönig" ersetzt werde, ändere das nichts daran, dass "die Geschichte von einem kolonialistischen Kontext beseelt bleibt", sagt Geulen. Wolle man den Kontext ändern, müsste man die Geschichten richtig umschreiben. "Das kann nicht die Lösung sein." Es gäbe übrigens weit rassistischere Bücher, über deren Gebrauch ebenfalls diskutiert werden müsse.
Das N-Wort – in New York verboten
Auch in den USA gibt es seit einigen Jahren eine Debatte über die Eliminierung rassistischer Begriffe in Klassikern. Alan Gribben, Sprachwissenschaftler an der Auburn Universität in Alabama, hat 2011 eine Neuauflage von Mark Twains Roman "Die Abenteuer des Huckleberry Finn" angestoßen. Darin wird das Wort "Nigger" — das im Original mehr als 200 mal vorkommt — durch "Slave" ersetzt. Die New York Times schreibt dazu: "Neger" war in den Südstaaten vor dem Brügerkrieg eine "übliche rassistische Bezeichnung" und Teil der Umgangssprache, mit der Mark Twain seine Charaktere ausstattete, um die soziale Haltung der Menschen entlang des Mississipi zu spiegeln.
Die Debatten um Bücher wie Huckleberry Finn in den USA oder dem Comic "Tim und Struppi" in England verlaufen ähnlich, wie die in Deutschland. Die einen sind für das Austauschen rassistischer Wörter, die anderen dagegen. Der einzige Unterschied: In den USA und Großbritannien kommt niemand auf die Idee, die rassistische Konnotation in der Vergangenheit zu leugnen: Dass es früher normal war, "Nigger" zu sagen, wird dort nicht so gedeutet, dass es weniger rassistisch war.
Vielmehr gibt es im angelsächsischen Raum den Konsens, dass "Neger" ein soziologischer Kampfbegriff ist und mit Vorsicht zu genießen. Wenn nötig, wird er sogar verboten, wie etwa in der Stadtverwaltung von New York. Rendal Kennedy, Jurist an der Harvard Law School, nennt das N-Wort "die Atomwaffe unter den rassistischen Schimpfwörtern" (in "Nigger: The Strange Career of a Troublesome Word"). Eine Waffe, die schon immer dazu benutzt werde, um Schwarze zu verletzten und erniedrigen.
Ferda Ataman und Rana Göroglu
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