REFERENT*INNEN
Tobias Nolte ist Deutsch- und Politiklehrer am Rütli-Campus in Berlin-Neukölln. Er arbeitet mit Schüler*innen vor allem zu den Themen Religion, Zugehörigkeit und Zusammenleben.
Dr. Götz Nordbruch ist Islam- und Sozialwissenschaftler und Mitbegründer des Vereins ufuq.de. Er arbeitet vor allem zu islamischer Jugendkultur und der Prävention islamistischer Gesinnungen in schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit.
Dr. Ellen Kollender ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Sie forscht zur Bildungspolitik im Kontext migrationsgesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse.
Prof. Dr. Werner Schiffauer ist emeritierter Professor für Kultur- und Sozialanthropologie an der Europa Universität Viadrina.
STATEMENTS DER REFERENT*INNEN (AUSZÜGE)
Tobias Nolte, Lehrer am Campus Rütli, Berlin-Neukölln
Viele Fälle von vermeintlich konfrontativer Religionsausübung seien überhaupt keine, sagt Nolte. Dominantes Auftreten, Sexismus oder Homophobie seien Probleme an Schulen. Dahinter stecken aber nicht zwangsläufig religiöse Gründe. Für ihn und seine Kolleg*innen ist es am wichtigsten, genügend Zeit und Ressourcen zu bekommen, um komplexe und emotionale Themen pädagogisch aufzuarbeiten. Nolte versucht das seit mehreren Jahren, indem er für die Oberstufe den Wahlkurs "Glauben und Zweifeln" und für Jahrgang 9 und 10 einen Projektkurs zum Nahostkonflikt anbietet. In "Glauben und Zweifeln" setzen sich die Jugendlichen unter der Leitfrage "Was kann ich wissen?" mit Verschwörungsmythen, Fake News und Desinformationen auseinander, bevor verschiedene Facetten des Themengebiets Religion beleuchtet werden. Dabei geht es ihm vor allem darum, einfache Wahrheiten und Annahmen der Schüler*innen herauszufordern, dahinterstehende Denkmuster respektvoll in Frage zu stellen und einen Prozess der Selbstreflexion anzustoßen.
Dr. Götz Nordbruch, ufuq.de
Diversität in vielen Klassenzimmern bringt zwangsläufig auch Konflikte mit sich, erklärt der Islamwissenschaftler Nordbruch. Er finde es wichtig, bei religionsbezogenen Konflikten auf die Bedürfnisse von muslimischen Schüler*innen einzugehen und Motive zu hinterfragen. Eine besonders starke Identifikation mit der Religion kann auch eine Reaktion auf eine fehlende Anerkennung von Muslim*innen als Teil der Gesellschaft sein, so Nordbruch. In der Vergangenheit hätten radikale Islamisten wie der Prediger Pierre Vogel Ausgrenzungs- und Rassismuserfahrungen genutzt, um für die salafistische Szene zu rekrutieren. Das Selbstverständnis der Jugendlichen sei auch geprägt von diesen Themen und Erfahrungen, die sie in der Gesellschaft machen. Wenn zum Beispiel in der Türkei die Konflikte hochkochen und auch in Deutschland darüber diskutiert wird, spielt das Türkisch-Sein für viele plötzlich wieder eine größere Rolle. Dann gehe es auch in Schulen plötzlich wieder mehr um Herkunft als um Religion.
Dr. Ellen Kollender, Helmut-Schmidt-Universität
Die Bildungswissenschaftlerin hält die Diskussion zu religionsbezogenen Konflikten an Berliner Schulen für eindimensional und die geplante Registerstelle zu "konfrontativen Religionsbekundungen" für problematisch. Ihr zufolge gibt es in Berlin bereits Stellen, die Diskriminierungen, Benachteiligungen und Abwertungen in Schulen erfassen. Dass hier auf den Islam bezogene Konflikte kaum gemeldet werden, führt sie nicht auf eine Tabuisierung oder darauf zurück, dass sich Lehrkräfte nicht trauen, dieses Thema anzusprechen. Vielmehr zeige sich ein tendenziell strenger, restriktiver Umgang mit muslimisch-religiösen Praktiken in Neuköllner Schulen, der auch dazu führt, dass Konflikte im Schulalltag vielfach von vornherein in Zusammenhang zum Islam gesetzt werden. Dadurch würden vor allem muslimische Schüler*innen und Familien indirekt als Problem bzw. Unruhestifter markiert. Das sei vor allem deswegen ein Problem, weil Personen mit muslimischem Hintergrund ohnehin zu den am häufigsten von Diskriminierung betroffenen Gruppen gehören.
Prof. Dr. Werner Schiffauer, Europa-Universität Viadrina
Der Ethnologe Schiffauer übt scharfe Kritik an der Erhebung des Vereins für Demokratie und Vielfalt (DEVI) zu "Konfrontativen Religionsausübungen in Neukölln", die im Dezember veröffentlicht wurde. Er wirft er Erhebung vor, zu wenig zu differenzieren und alle möglichen Konfliktursachen dem Islam zuzurechnen. Wenn beispielsweise die Mannschaften beim Fußball in der Pause immer in Araber und Türken aufgeteilt würden, dann sei das zwar eine möglicherweise problematische Entwicklung, sie sei jedoch eher ethnisch als religiös motiviert. Ebenso wenig wird zwischen dem Bedürfnis Religionsbekundung, wie dem Tragen von Kopftuch oder dem Wunsch nach einem Gebetsraum, und auf Konflikt gebürstetem konfrontativem Religionsverhalten unterschieden. Wenn man die Aussagen in der Studie differenziert betrachten würde, ergäbe sich das klare Bild, dass konfrontative Religionsausübung im Rückgang begriffen sei.
Von Nikolas Schäfer
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