Bisher war das Verständnis von Rassismus in Deutschland stark an den Nationalsozialismus, vor allem an Antisemitismus und "Ausländerfeindlichkeit" geknüpft. Rassismus ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Rechtsextremismus. Debatten wie die um die Thesen von Thilo Sarrazin zu Muslimen in Deutschland, um rassistische Worte in Kinderbüchern oder einseitige Ermittlungen zu den NSU-Verbrechen haben das in jüngster immer wieder verdeutlicht. Was also bedeutet Rassismus heute?
Der Umgang damit ist derzeit ambivalent. Einerseits verdrängt Rassismus zunehmend Begriffe wie Fremden- oder Ausländerfeindlichkeit. Andererseits wird er von vielen weiterhin als Phänomen des rechten Rands definiert. Grundsätzlich wird in der Regel zwischen zwei Formen von Rassismus unterschieden:
- Der "klassische" Rassismus behauptet eine Ungleichheit und Ungleichwertigkeit von Menschen aufgrund tatsächlicher oder vermeintlicher Merkmale, wie die Hautfarbe oder ethnische Herkunft.
- Der sogenannte Neorassismus oder Kulturrassismus dagegen argumentiert mit kulturellen Zuschreibungen wie etwa "die Muslime" oder "die Roma", die mit ihren Werten und Traditionen nicht "zu uns passen".
Kaum untersucht, aber durch den NSU-Prozess in den Fokus geraten, sind auch rassistische Strukturen bei Polizei und Ermittlungsbehörden: Hier geht es meist um Schlagworte wie racial profiling, Rasterfahndung oder die Verharmlosung von rassistischen Taten durch Behörden.
Insgesamt ist es schwer, Aussagen über den Verbreitungsgrad von Rassismus in Deutschland zu treffen. Bis heute gibt es keine umfassende Untersuchungen dazu. Allerdings weisen zahlreiche Umfragen und Studien auf rassistische Einstellungen in einzelnen Bereichen hin. Besonders mit Blick auf Muslime machen sich demnach weit verbreitete kulturrassistische Sichtweisen bemerkbar.
Was in diesem Zusammenhang nur wenigen bekannt ist: Deutschland ist 1969 dem "Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung" beigetreten, der ersten völkerrechtlich bindenden Erklärung gegen Rassismus. Seit 2001 wurde in Deutschland zudem ein Individualbeschwerdeverfahren ermöglicht, mit dem sich Bürger an die zuständige UN-Kommission wenden und einen Fall einreichen können.
Die erste Beschwerde dieser Art endete prompt mit einer Rüge an Deutschland: Aufgrund der Äußerungen von Thilo Sarrazin im Lettre-Interview von 2009 über Türken und Araber hatte der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) gemeinsam mit Einzelpersonen einen Strafantrag wegen Volksverhetzung und Beleidigung gestellt. Die Berliner Staatsantwaltschaft stellte das Verfahren zügig ein. Zu zügig, erklärte der zuständige UN-Ausschuss nach drei Jahren in einem Urteil, das habe gegen die Antirassismuskonvention verstoßen. Im Gegensatz zu Sarrazins Thesen wurde über die UN-Rüge in den meisten Medien nicht berichtet.
Weitere Informationen finden Sie in unserer Rubrik "Rassismus", in der wir Studien und Untersuchungen zusammengestellt haben.
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.