"Deutschlands Zukunft gestalten" – so lautet der Titel des Koalitionsvertrags, auf den sich SPD, CDU und CSU geeinigt haben. "Unsere Bevölkerung ist die älteste in Europa und unsere Gesellschaft wird vielfältiger, weil der Anteil der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte wächst", heißt es hier in der Präambel. Entsprechend findet sich ab Seite 105 das Kapitel "Integration und Zuwanderung gestalten". Dort steht:
Deutschland ist ein weltoffenes Land. Wir begreifen Zuwanderung als Chance, ohne die damit verbundenen Herausforderungen zu übersehen. In den letzten Jahren haben wir bei der Teilhabe von Zuwanderern und dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft wesentliche Fortschritte erzielt. Migranten leisten einen bedeutenden Beitrag zum Wohlstand und zur kulturellen Vielfalt unseres Landes. Leitlinie der Integrationspolitik bleibt Fördern und Fordern. Wir erwarten, dass Angebote zur Integration angenommen werden. Jedoch ist Integration ein Prozess, der allen etwas abverlangt. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Für alle gilt selbstverständlich die Werteordnung des Grundgesetzes.
Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern entfällt in Zukunft der Optionszwang und die Mehrstaatigkeit wird akzeptiert. Im Übrigen bleibt es beim geltenden Staatsangehörigkeitsrecht.
Die umstrittene Optionspflicht soll demnach aufgehoben werden. Sie gilt bislang für Kinder, die mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten haben ebenso wie die der ausländischen Eltern. Ab dem 18. und vor ihrem 23. Geburtstag müssen sie entscheiden, welche Staatsangehörigkeit sie behalten wollen. Sonst verlieren sie die deutsche Staatsbürgerschaft.
Wen betrifft die Optionspflicht?
Im Jahr 2013 mussten rund 4.700 junge Erwachsene das Optionsverfahren durchlaufen, wie aus einer Bundestagsdrucksache hervorgeht. Zwischen 2014 und 2017 wären jährlich bis zu 7.000 Personen betroffen. Ab dem Jahr 2018 wäre diese Zahl auf rund 40.000 pro Jahr gestiegen. Insgesamt hätten sich bis 2026 rund 385.000 in Deutschland geborene Jugendliche im Rahmen ihrer Optionspflicht für einen Pass entscheiden müssen. Diese Regelung entfällt wohl demnächst.
Einbürgerungspotenzial wird nicht ausgeschöpft
Bei Einbürgerungen soll es dagegen keine Erleichterungen geben. Die Ausbürgerung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit bleibt für Drittstaatenausländer grundsätzlich eine Voraussetzung. Viele betrachten das als Hürde.
Im Jahr 2012 gab es 112.348 Einbürgerungen. Das sogenannte ausgeschöpfte Einbürgerungspotenzial lag somit lediglich bei 2,4 Prozent (2011: 2,3 Prozent), wie das Statistische Bundesamt errechnet hat. Dabei wird die Zahl der Einbürgerungen auf die Zahl der Ausländer im Inland bezogen, die sich seit mindestens zehn Jahren in Deutschland aufhalten. Laut einer aktuellen Pressemitteilung des europäischen Statistikamts liegt Deutschland bei Einbürgerungen zudem deutlich unter dem EU-Durchschnitt (2,3 Einbürgerungen in der EU pro 100 ansässiger Ausländer, aber nur 1,5 in Deutschland).
In einer Demokratie sollten Wohnbevölkerung und Wahlvolk möglichst deckungsgleich sein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schätzte für das Jahr 2012, dass das Einbürgerungspotenzial bei über fünf Millionen Menschen liegt. Grundlage für die Schätzung ist die Tatsache, dass rund 5,5 Millionen Ausländer bereits länger als sechs Jahre in Deutschland leben. Dieses Potenzial soll laut Koalitionsvertrag von SPD, CDU und CSU nicht ausgeschöpft werden.
Mehrstaatigkeit: Die Ausnahme bestätigt die Regel
Zwar soll nach deutschem Staatsangehörigkeitsrecht Mehrstaatigkeit vermieden werden, doch multiple Staatsangehörigkeiten können aus mehreren Gründen entstehen. Seit Jahren finden etwa mehr als die Hälfte der Einbürgerungen "unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit" statt.Quelle Aber auch Optionspflichtige oder Kinder aus binationalen Ehen zählen dazu: In Deutschland leben viele Menschen mit zwei Pässen, laut Schätzungen rund 2,3 Millionen.
Flüchtlinge ohne Aufenthaltstitel: Wer darf bleiben?
Der Koalitionsvertrag sieht außerdem eine stichtagsunabhängige gesetzliche Bleiberegelung für geduldete Flüchtlinge vor. Die Duldung ist eine Bescheinigung darüber, dass die Abschiebung vorerst nicht vollzogen wird. Geduldete, die länger als acht Jahre (Alleinstehende) oder sechs Jahre (Familien mit minderjährigen Kindern) in Deutschland leben und ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst bestreiten, sollen davon profitieren können.
Aktuell leben rund 35.000 Personen, die länger als sechs Jahre bzw. rund 29.000 länger als acht Jahre im Bundesgebiet gedulet werden (Stand 31.12.2012). Dieser Personenkreis könnte bei Inkrafttreten der gesetzlichen Bleiberegelung eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Allein über 20.000, also knapp ein Viertel aller Geduldeten, sind minderjährig. Experten gehen davon aus, dass rund 40.000 Flüchtlinge sofort eine Aufenthaltserlaubnis erhalten könnten, wenn die Bleiberechtsregelung in Kraft tritt. Da die Bleiberechtsregelung von einem Stichtag abhängt, betrifft das langfristig sämtliche der rund 85.000 geduldeten Personen, wenn sie die Aufenthaltszeiten und Voraussetzungen erfüllen.
Von Ferda Ataman, MDI
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