Die ZDF-Seite heute.de titelt im Juni 2013 zum Stichwort "Armutszuwanderung": "Es kommen nicht nur Roma – es kommen auch Akademiker". Der Versuch, darauf hinzuweisen, dass viele Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien qualifiziert sind, mündet in der Botschaft, dass Roma (offenbar grundsätzlich) keine Akademiker sind.
Auch beim "Fall Maria" versäumen die Medien, kritische Fragen zu stellen, wie unter anderem die SZ in einem Artikel analysiert. Ungeprüft übernehmen sie die Meldung aus Griechenland, wonach das blonde Mädchen Maria von einer Roma-Familie "entführt" und von der Polizei aus dieser "befreit" worden sei. In Wirklichkeit hatten die griechischen Polizisten das Mädchen von seinen Zieheltern "entführt", offenbar aufgrund der Tatsache, dass es blond und hellhäutig war – und nicht zu einer Roma-Familie gehören könne.
Jüngst sorgte auch eine Talkshow von Günther Jauch zum Thema "Albtraum Einbruch" für Kritik. Der Moderator kündigt einen Einspieler an, der aufzeige, welche Täter für bestimmte Einbrüche verantwortlich seien. Im Beitrag ist dann von "Roma-Gruppen" und "Banden aus Südosteuropa" die Rede. Und als Jauch selbst in diesem Zusammenhang von "Roma" spricht, wird er von einem der Studiogäste für diesen "Tabubruch" gelobt.
Kaum eine Gruppe so stark diskriminiert
Viele weitere Beispiele finden sich in der Studie "Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit". Darin hat der Politikwissenschaftler Markus End erstmals umfassend untersucht, inwiefern Journalisten negative Stereotype gegenüber Sinti und Roma (re-)produzieren. In Auftrag gegeben hat sie das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, das zum Zentralrat gehört. Analysiert wurden Radio-, TV-, Print- und Onlineberichte von 2010 bis 2014.
Die Auftraggeber und der Autor betonen, dass es in der Justiz, Polizei, im Bildungswesen, in Kommunen und Politik keinen vollständigen Bruch mit der antiziganistischen Ideologie im Nationalsozialismus gab. Ausgehend davon kommt die Studie zu folgenden Ergebnissen:
- Antiziganismus ist auch in den Medien weit verbreitet. Vorurteile gegenüber Sinti und Roma sind hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
- Er tritt sowohl offen und leicht erkennbar als auch in subtiler und kodierter Form auf.
- Bestehende Vorurteile und negative "Zigeuner"-Bilder wurden und werden – häufig unbewusst und ungewollt – in der Berichterstattung immer wieder bestätigt oder reproduziert.
- Öffentlich-rechtliche und andere "seriöse Medien" bilden dabei keine Ausnahme.
- In der deutschen Medienlandschaft herrscht kaum Sensibilität für antiziganistische Aussagen und Darstellungen.
Autor Markus End ist es dabei wichtig zu betonen, dass Medien nicht allein für die Reproduktion antiziganistischer Stereotype verantwortlich seien. "Sie spielen aber eine wichtige Rolle bei der Meinungsbildung." Eine ebenso wichtige Rolle könnten sie bei der Bekämpfung des Antiziganismus spielen.
"Die Kritik an einer Berichterstattung, die antiziganistischen Einstellungen Vorschub leistet, ist kein abgehobenes Gedankenspiel. Solche negativen Zerrbilder können als Legitimation für Diskriminierung oder sogar Gewalt dienen." Das vorrangige Ziel des Gutachtens sei es, einen Sensibilisierungsprozess in den Redaktionen anzustoßen. Es bedürfe einer bewussten Entscheidung, Klischees nicht zu wiederholen.
Forderung nach Öffnung der Rundfunk- und Fernsehräte
Bei der Vorstellung des Medien-Gutachtens in Berlin betonte Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, dieses sollte nicht als Vorwurf oder gar Anklage verstanden werden. Die Wirkungsmacht antiziganistischer Stereotype dürfe man jedoch nicht unterschätzen: "Die zunehmend aggressive politische Diskussion, die auch in den Medien weitergeführt wird, hat massive Folgen auf das gesellschaftliche Zusammenleben". Die Medien würden ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie politisch angeheizte Debatten unkritisch übernähmen.
Rose forderte unter anderem, Vertreter von Sinti und Roma in die regionalen und überregionalen Rundfunk- und Fernsehräte aufzunehmen. Bisher sei dies nur beim SWR der Fall. Auch sollte in der Kriminalitätsberichterstattung der Pressekodex eingehalten und die ethnische Zugehörigkeit von Verdächtigen oder Tätern nur dann benannt werden, wenn sie für das Verständnis der Tat relevant sei. Zudem sollte der Bundestag ähnlich wie beim Thema Antisemitismus ein unabhängiges Expertengremium berufen, das in jeder Wahlperiode einen Bericht zu "Antiziganismus in Deutschland" vorlegt. Die Grünen haben die Bundesregierung in einem Antrag dazu aufgefordert.
"Kaum eine Gruppe ist so stark von Diskriminierung betroffen wie Sinti und Roma", betonte auch Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Gerade bei der Arbeitssuche sei die Lage katastrophal, wenn sich jemand als Sinti oder Roma zu erkennen gäbe. Auch die Debatte um die sogenannte Armutsmigration habe sie teilweise als beschämend empfunden. Nicht nur die Medien, auch die Politik trage hier Verantwortung und hantiere zudem oft mit falschen Zahlen.
Wie stark Vorurteile gegenüber Sinti und Roma in der Gesellschaft verbreitet sind, belegen auch einige Umfragen, die der Mediendienst zusammengefasst hat. Die Studie "Die stabilisierte Mitte" kam jüngst zu dem Ergebnis: Während rechtsextreme und ausländerfeindliche Einstellungen zurückgegangen sind, hat die Ablehnung gegenüber einzelnen Gruppen wie etwa Sinti und Roma in jüngster Zeit stark zugenommen. So teilte mehr als die Hälfte der Befragten die Auffassung, Sinti und Roma neigten zur Kriminalität. Ebenso viele stimmten der Aussage zu, sie hätten Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in ihrer Gegend aufhalten.
Von Rana Göroğlu, Mediendienst
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