Es sind dramatische Szenen, die sich seit einigen Monaten an der Grenze zwischen Belarus und Litauen abspielen. Tausende Geflüchtete versuchen, über Litauen in die EU zu gelangen. Viele von ihnen landen in litauischer Haft.
Offensichtlich will die Regierung Lukaschenko die EU unter Druck setzen, indem sie Geflüchtete einfliegen lässt und dann über die Grenze nach Litauen schickt. Laut Berichten des litauischen Staatsfernsehen LRT organisieren Reiseagenturen (vor allem im Norden Iraks) den Transfer, inklusive Flug, Visum, eine Unterkunft in Minsk und dem Weitertransport an die litauische Grenze.
Wie viele Geflüchtete kommen über die Grenze?
Insgesamt wurden im Jahr 2021 mehr als 4.100 Menschen an der litauisch-belarussischen Grenze aufgegriffen. Die Zahl hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr verfünfzigfacht.
Rund zwei Drittel von ihnen kommen aus dem Irak (68 Prozent), weit dahinter folgen die Republik Kongo (4,9 Prozent), Kamerun (3,2 Prozent), Syrien (3,2 Prozent) und Iran (2,2 Prozent). Etwa ein Viertel von ihnen sind minderjährig.Quellen
Wie reagieren Litauen und die EU auf die Einwanderung?
Die EU hat irakische Fluggesellschaften aufgefordert, keine Flüge mehr nach Belarus anzubieten. Tatsächlich haben daraufhin einige irakische Airlines ihre Flüge nach Belarus vorläufig eingestellt. Seitdem ist die Zahl der Menschen, die an der Grenze aufgegriffen werden, abrupt zurückgegangen.
Litauen versucht zugleich mit drastischen Mitteln, Geflüchtete am Grenzübertritt zu hindern. Anfang Juli hat das Land mit dem Bau eines fast 680 Kilometer langen Grenzzauns begonnen. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex ist seit Juli 2021 an der litauischen Grenze zu Belarus stationiert. Als weitere Maßnahme verabschiedete das litauische Parlament Mitte Juli eine Gesetzesänderung, die es erlaubt, Migrant*innen für bis zu sechs Monate zu inhaftieren. Und am 13. Juli wurde eine Resolution verabschiedet, die die Schutzsuchenden als Mittäter*innen eines Angriffs von Weißrussland auf Litauen einstuft.
Die Resolution trifft die Stimmung im Land. Die steigende Zahl der Schutzsuchenden werde von der litauischen Bevölkerung mit Sorge betrachtet, sagt Akvilė Kriščiūnaite, Forscherin der litauischen NGO "Diversity Group" gegenüber dem MEDIENDIENST: "Einwandernde, die die Grenze überqueren, werden als Problem, als Belastung oder als Bedrohung angesehen, mit der man fertig werden muss. Nicht als menschliche Wesen, die Hilfe brauchen."
Sorgen um die Situation in den Geflüchtetenlagern
Wer es trotz allem über die Grenze nach Litauen schafft, wird in Sammelunterkünften festgehalten. Elisabeth Arnsdorf Haslund, Pressesprecherin des UNHCR für die nordischen Ländern und das Baltikum, kritisiert das Vorgehen litauischer Behörden: "Wir sind sehr alarmiert über den zunehmenden Einsatz von Inhaftierungen. Von Seiten des UNHCR vertreten wir generell die Auffassung, dass die Inhaftierung von Asylbewerber*innen ein letztes Mittel ist, das nur in einem sehr kurzen Zeitraum angewendet werden sollte", so Arnsdorf Haslund gegenüber dem MEDIENDIENST. Es gebe in den Unterkünften einen Mangel an angemessenen sanitären Einrichtungen, keine Trennung nach Geschlechtern und keine Privatsphäre. "Die Bedingungen sind besorgniserregend". Migrant*innen berichten zudem von psychischen und gesundheitlichen Beschwerden.
Die Grenze ist auf beiden Seiten dicht
Der litauische Grenzschutz hat Anfang August angekündigt, dass jeder Mensch, der versucht, ohne Aufenthaltsgenehmigung die Grenze zu übertreten, zurückgewiesen wird. Derartige Zurückweisungen (Pushbacks) verstoßen unter anderem gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und dieEuropäische Menschenrechtskonvention. Lukaschenko wiederum wies die Verteidigungs- und Sicherheitsbehörden seines Landes an, Teile der Grenze zu schließen. Damit will er verhindern, dass Litauen Geflüchtete zurück nach Belarus schickt.
Inzwischen melden litauische Behörden nur noch vereinzelte Grenzübertritte. Zugleich steigt die Zahl der Geflüchteten, die über Weißrussland nach Polen und Lettland kommen. In diesem Jahr hat der polnische Grenzschutzes 871 Asylsuchende an der belarussischen Grenze festgenommen (zum Vergleich: 2020 waren es 122). In Lettland wurden allein in ersten August-Woche 238 Grenzübertritte registriert. Der Konflikt zwischen Belarus und der EU scheint weiterzugehen.Quelle
Von Antonia Hafner
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