Sie prägen die Bilder der Fluchtbewegung aus der Ukraine: Es sind vor allem Frauen, die seit dem Kriegsausbruch Schutz in Deutschland gesucht haben und noch suchen. Weibliche Migration ist in der medialen Wahrnehmung und der Forschung zuletzt präsenter geworden, etwa in Berichten über geflüchtete Jesidinnen, Syrerinnen und Afghaninnen. Dass auch Frauen auswandern oder flüchten, ist kein neues Phänomen. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Seit Jahrzehnten machen sie knapp die Hälfte der weltweiten Migrant*innen aus, je nach Region sogar den überwiegenden Teil. Quelle
Dienstmädchen - Ein globaler Arbeitsmarkt
Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika hatte starke Auswirkungen auf Migrationsbewegungen. So suchte zum Beispiel das aufstrebende Bürgertum nach Hausangestellten. Darin sahen besonders junge Frauen und Mädchen aus unteren sozialen Schichten eine Chance, ohne Ausbildung Geld zu verdienen.
Dienstbotinnen waren sehr mobil. Ein Anstellungswechsel bedeutete meist einen Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land. Erste Station waren für die jungen Frauen ab 14 Jahren meist die nahegelegenen Städte. Allein in Berlin kamen jährlich rund 40.000 Dienstmädchen an. Danach nutzten einige den trans- und internationalen Arbeitsmarkt. Besonders attraktiv waren Städte wie Paris, Budapest und Wien. In Paris kamen im Jahr 1901 rund 7.600 der 17.700 ausländischen Dienstbotinnen aus Deutschland. Die deutschen Frauen stellten damit den größten Anteil. Wenn sie hier Arbeit fanden, sammelten sie Berufserfahrungen, Sprachkenntnisse und Arbeitszeugnisse - verfolgten also eine Karriere.
Durch flexible und befristete Arbeitsverträge wechselten Dienstmädchen sehr häufig ihre Anstellung. So bildete sich ein großer internationaler Arbeitsmarkt heraus, der vor allem durch freundschaftliche Netzwerke der jungen Frauen, aber auch durch Vermittlungsagenturen bedient wurde.Quelle
Über das Ausmaß der Dienstmädchenmigration lässt sich nur spekulieren. Legt man jedoch zugrunde, dass allein im Deutschen Reich um die Jahrhundertwende 1,3 Millionen Dienstmädchen tätig waren, kann man Rückschlüsse ziehen: International müssen mehrere Millionen Frauen als Dienstmädchen angestellt gewesen sein. Die meisten waren Binnenmigrantinnen, viele jedoch auch Ausländerinnen. Mehrere Tausend deutsche Frauen migrierten um 1900 vorübergehend oder dauerhaft ins Ausland. Damit waren sie keine Randerscheinung, sondern gehörten zum alltäglichen Stadtbild.
Dass dieser Arbeitsmarkt auch eine internationale Dimension hatte, zeigen Zahlen der deutschen Dienstmädchen in den Vereinigten Staaten: Um 1900 machten sie rund 10 Prozent der deutschen Auswander*innen aus. Unter den allein reisenden Frauen stellten Dienstmädchen die größte Berufsgruppe. Über ausgewanderte Familienmitglieder oder die „Auswandererbriefe“ in die Heimat interessierten sich weitere Frauen für eine Auswanderung, sodass auch sie zu einem Netzwerk beitrugen.Quelle
Diese Netzwerke, die sich für die Dienstmädchen über Jahrzehnte entwickelt hatten, konnten nicht nur der Arbeitsplatzsuche dienen. Rund 20.000 junge, vor allem jüdische Frauen aus Deutschland und Österreich konnten in den 1930er Jahren durch ein sogenanntes domestic permit die restriktive Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik Großbritanniens umgehen und so dem Nationalsozialismus entkommen. Diese Erlaubnis, Arbeit in einem Haushalt anzunehmen, war an enge Bedingungen geknüpft und ging oft auch mit einem sozialen Abstieg der Frauen einher. Dennoch rettete sie Tausenden junger Frauen das Leben.Quelle
"Gastarbeiterinnen" - Die Anwerbung von Frauen
Ab den 1960er Jahren wurden in Westdeutschland „Gastarbeiter*innen“ zu einem wichtigen Teil des „Wirtschaftswunders“. Ein relevanter Anteil der Arbeitskräfte waren Frauen: Im Jahr 1973 gab es rund 706.000 „Gastarbeiterinnen“ in Deutschland, das waren über 30 Prozent aller ausländischen Arbeitnehmer*innen
Frauen wurden teils gezielt von den Anwerbebüros angesprochen. Sie arbeiteten als un- oder angelernte Arbeitskräfte in der Textil-, Bekleidungs- und Nahrungsindustrie, aber auch in der Elektrotechnik, Eisen- und Metallindustrie. Während diese Bereiche tarifliche Mindeststandards boten, drohte vor allem im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Hauswirtschaft sowie in der Reinigungsbranche finanzielle Ausbeutung.
Migrant*innen wurden meist in der sogenannten "Leichtlohngruppe" angestellt, die es für körperlich vermeintlich leichtere Tätigkeiten gab. Dort verdienten sie 30 bis 40 Prozent weniger als Männer in den unteren Lohngruppen, aber häufig mehr als in ihren Herkunftsregionen. Die niedrige Entlohnung war ein entscheidender Grund dafür, dass Unternehmen Frauen anwarben.
Die Unternehmen suchten meist nach jungen, ledigen und kinderlosen Frauen. Im Jahr 1968 waren 42 Prozent der ausländischen Arbeitnehmerinnen ledig oder ohne Ehepartner in Deutschland. Die Frauen mussten strenge Gesundheitschecks durchlaufen. Wurde bei ihnen eine Schwangerschaft festgestellt, durften sie nicht nach Deutschland einreisen oder wurden ausgewiesen, wenn sie bereits in Deutschland waren.Quelle
Vor allem die ungerechte Bezahlung führte dazu, dass migrantische Frauen streikten. Das bekannteste Beispiel ist der Arbeiterinnenstreik 1973 beim Autozulieferer Pierburg in Neuss. „Gastarbeiterinnen“ streikten hier für die Abschaffung der „Leichtlohngruppe II“, in der nur Frauen beschäftigt waren. Da sie somit auch Verbesserungen für deutsche Frauen forderten, solidarisierten diese sich mit ihren Kolleginnen. Der Streik startete mit 1.800 migrantischen und 400 deutschen Frauen. Später legte die Beteiligung weiterer Frauen den gesamten Betrieb lahm.
"Pierburg" ist der Streik, der am deutlichsten mit Frauen in Verbindung steht. Aber auch an anderen Streiks, wie den „wilden Streiks“ zwischen 1950 und 1970 sowie 1973 bei Ford in Köln oder Karmann in Osnabrück, waren migrantische Frauen beteiligt.Quelle
Von Christina Mecke
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