Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und das Sozioökonomische Panel (SOEP) haben in einer neuen repräsentativen Studie die Lebenssituation von ukrainischen Geflüchteten in Deutschland untersucht. Die vollständigen Ergebnisse wurden im Rahmen eines Pressegesprächs des MEDIENDIENSTES vorgestellt.
Prof. Dr. Sabine Zinn – Vize-Direktorin des Sozioökonomischen Panels (SOEP) und Leiterin des Bereichs Surveymethodik und -management am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW)
Insgesamt konnten wir für unsere Studie rund 11.000 Personen befragen, die zwischen Ende Februar 2022 und Juni 2022 nach Deutschland gekommen sind. Beinahe alle Geflüchteten gaben an, dass sie wegen des Krieges nach Deutschland geflüchtet sind. Der allergrößte Teil der Befragten kam aus Regionen, die besonders vom Krieg betroffen sind – etwa in der Ost- und Süd-Ukraine und Kiew. Somit steht außer Frage, dass ein Großteil der Geflüchteten aus humanitären Gründen nach Deutschland gekommen ist. Der Hauptgrund, weshalb sich viele Ukrainer*innen für Deutschland entschieden haben, ist, dass sie hier bereits Freunde oder Verwandte hatten. Auch sehr wichtig bei der Auswahl des Ziellandes war, dass laut den Befragten Deutschland die Menschenrechte besonders beachtet und ein ausgeprägtes Wohlfahrtssystem hat.
Dr. Andreas Ette - Leiter der Forschungsgruppe Internationale Migration am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)
Der Krieg führte bei einem großen Teil der Geflüchteten dazu, dass sich Familien und Paaren trennen mussten. Besonders gravierend ist diese räumliche Trennung der Familien für die Kinder: 75 Prozent der Frauen mit minderjährigen Kindern leben heute ohne ihren Partner in Deutschland. Dass die Eltern plötzlich getrennt sind und dass sie den Kontakt zu wichtigen Bezugspersonen verloren haben, belastet viele Kinder und Jugendliche. Sowohl Erwachsene als auch Kinder geben in Durchschnitt an, dass sie mit ihrer aktuellen psychischen Situation nicht zufrieden sind. Dies ist umso öfter der Fall, wenn ein Partner oder Elternteil in der Ukraine lebt.
Dr. Nina Rother - Psychologin und Leiterin des Forschungsfeldes II "Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt" im Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Die deutliche Mehrheit der Geflüchteten aus der Ukraine fühlt sich in Deutschland willkommen – unabhängig vom Alter und Geschlecht. Beinahe drei Viertel von Ihnen wohnten zum Zeitpunkt der Befragung in privaten Unterkünften, nur neun Prozent lebten in Gemeinschaftsunterkünften. Der Rest lebte in Hotels und Pensionen. Viele Geflüchtete wissen noch nicht, ob sie in die Ukraine zurückkehren wollen. Mehr als ein Drittel gab an, dass sie für immer oder zumindest mehrere Jahre in Deutschland bleiben wollen. 88 Prozent der Befragten gaben an, Unterstützung zu brauchen – vor allem beim Deutschlernen, bei der Arbeitssuche und bei der medizinischen Versorgung. Sprachkurse, Beratungsangebote sowie Angebote zur Arbeitsvermittlung werden von vielen Befragten aktiv genutzt.
Prof. Dr. Yuliya Kosyakova - Leiterin des Forschungsbereichs Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung (IAB)
Ukrainische Geflüchtete haben ein hohes Bildungsniveau: 72 Prozent haben einen akademischen Abschluss oder eine vergleichbare Ausbildung. Das ist höher als das durchschnittliche Bildungsniveau der Bevölkerung in der Ukraine oder Deutschland. Nur vier Prozent der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland beherrschen die deutsche Sprache gut. Diese Erkenntnis ist wenig überraschend, da sich die meisten Geflüchtete nicht auf ihre Flucht vorbereiten konnten. Allerdings zeigen unsere Befunde auch, dass bereits knapp die Hälfte einen deutschen Sprachkurs besucht oder abgeschlossen hat – 30 Prozent einen Integrationskurs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Die Mehrheit (konkret 94 Prozent) der nicht-erwerbstätigen Geflüchteten wünschen sich eine Beschäftigung in Deutschland. Rund 19 Prozent der Erwerbslosen haben zum Befragungszeitpunkt aktiv nach einer Stelle gesucht. Auch das ist nicht überraschend, da ein Großteil der Geflüchteten zum Befragungszeitpunkt Sprachkurse besuchten oder Betreuungsaufgaben hatten.
Von Jonas Lehnen
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.