Im August 2006 wurden mit dem Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vier europäische Antidiskriminierungsrichtlinien in Deutschland umgesetzt. Seither gibt es auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) – formal an das Familienministerium angedockt, aber per Gesetz unabhängig. Eine ihrer Aufgaben ist es, Forschung zum Thema Diskriminierung voranzutreiben und dem Bundestag alle vier Jahre Bericht zu erstatten. Den ersten Bericht haben die Antidiskriminierungsstelle und die Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages für Integration, nationale Minderheiten, Aussiedler und Behinderung sowie der Wehrbeauftragte im Dezember 2010 vorgelegt. Damals zum Thema "Mehrdimensionale Diskriminierung".
In ihrem aktuellen Bericht nimmt die ADS mit Arbeit und Bildung gleich zwei große Kernbereiche in den Fokus. Insgesamt hält sie für beide Themenfelder fest: Der Stand der Forschung zu Benachteiligungen (aufgrund von Alter, Behinderung, ethnischer Herkunft, Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung und Geschlecht) ist unbefriedigend. Es gibt nach wie vor viele Wissenslücken. Einen Teil davon soll der Bericht nun schließen.
Jeder Vierte fühlt sich diskriminiert
Zwar bietet er keine umfassende Statistik über Diskriminierungsfälle in Deutschand, da sie nirgends zentral erfasst werden. Doch die ADS hat für ihren Bericht deutschlandweit Beratungsstellen zu ihrer Arbeit befragt. Demnach betrifft ein wesentlicher Anteil aller Anfragen die Themen Bildung und Arbeitsleben, bei Letzterem vor allem den Zugang zu Erwerbstätigkeit, aber auch die Arbeitsbedingungen und Aufstiegsmöglichkeiten.
Laut einer Studie des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gab jeder fünfte Befragte mit Migrationshintergrund an, in den beiden Bereichen schon einmal benachteiligt worden zu sein (S. 9-10). Von den Befragten mit Migrationshintergrund, die 2012 in Bildung und Ausbildung oder einem Arbeitsverhältnis waren, fühlten sich 24,3 Prozent auf dem Arbeitsmarkt und 23,7 Prozent im Bildungsbereich diskriminiert.
Diskriminierung im Bereich Bildung
Im Bereich Bildung gibt der Bericht wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskriminierenden Mechanismen und Prozessen wieder.
1. Vor der Schule: Frühkindliche Betreuungseinrichtungen (Kitas)
Laut Bericht belegen verschiedene Studien den positiven Einfluss von Kindertagesbetreuung für den späteren Bildungsweg. Doch gerade Kinder aus bildungsfernen Schichten, mit Migrationshintergrund und mit Behinderung seien in der Kindertagesbetreuung unterrepräsentiert. Diese strukturelle Benachteiligung werde unter anderem gefördert durch
- mangelnde Plätze in der frühkindlichen Betreuung,
- institutionelle Barrieren wie fehlende Zugangsmöglichkeiten für bestimmte Kinder (z. B. Kinder mit Behinderung),
- Kosten für die Betreuung
- oder eine mangelnde interkulturelle bzw. inklusive Sensibilisierung in den Einrichtungen.
Erschwerdend kommen diskriminierende Alltags-Mechanismen in den Kitas hinzu. Zum Beispiel durch Vorurteile unter Kindern, Vermittlung von „Normalität“ durch das Erziehungspersonal sowie Skepsis gegenüber Mehrsprachigkeit. Das kann dazu führen, dass Kinder sich in der Kindertageseinrichtung nicht zugehörig fühlen, was sich negativ auf ihren Bildungsprozess auswirken kann.
2. In der Schule: Einschulung, Schulform und Leistung
Dem Bericht zufolge gäbe es wenig Untersuchungen über Ausmaß und genaue Wirkung von Diskriminierung in der Schule, doch es seien zahlreiche Anhaltspunkte für Diskriminierungen an Grundschulen, Schulen und Förderschulen bekannt.
- Erschwerter Zugang zur Regelschule: Kinder aus Einwandererfamilien seien einem erhöhten Risiko von Bildungsdiskriminierung ausgesetzt, da sie besonders oft einen sonderpädagogischen Förderbedarf attestiert bekommen.
- Segregation durch Einschulungsbezirke: Für Kinder in sozial schwachen Vierteln kann sich der Mangel einer heterogenen Schülerschaft nachteilig auf das Lernklima und die Leistungen auswirken (S. 88).
- Benachteiligung durch Noten: Schlechtere Schulleistungen seien nicht immer auf Kompetenzdefizite zurückzuführen. Auch diskriminierende Entscheidungspraktiken spielen mitunter eine Rolle, so die ADS. Schulleistungs-Untersuchungen belegen demnach ein "Leistungsgefälle entlang der Trennlinie von sozialer Herkunft, Migrationshintergrund, aber auch Geschlecht" (S. 91).
- Rassismus im Schulalltag: Beratungsstellen in Deutschland erreichen immer wieder Beschwerden über Stereotype und rassistische Vorurteile im Unterricht, die von den Lehrkräften oder Schulleitungen ausgehen oder zumindest von ihnen nicht problematisiert würden.
Die Antidiskriminierungsstelle betont zudem rechtliche Lücken: Zwar lasse sich aus Art. 3 Grundgesetz (GG) ein Teilhaberecht am Bildungssystem und ein Diskriminierungsschutz während des Schulbesuchs ableiten. Doch die Schulgesetze der Länder gewährleisten "keinen umfassenden Schutz vor Diskriminierung, der den Anforderungen der EU-Richtlinien genügt". Es fehle an ausdrücklichen Diskriminierungsverboten. Auch im AGG werde Bildung zwar genannt, doch auch hier handelt es sich um ein Bundesgesetz und entsprechende Landes-Antidiskriminierungsgesetze fehlen.
Zentrale Forderung
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz regelt die Ansprüche und Rechtsfolgen bei Diskriminierungen im Arbeitsleben und Zivilrecht. Für Diskriminerungen im Bereich von Privatschulen ist das AGG somit anwendbar und damit die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ein möglicher Ansprechpartner. Anders sieht es aus bei öffentlichen Schulen: Erleben Schüler oder Eltern hier etwas, dass sie als Benachteiligung bewerten, können sie sich zwar auf das Grundgesetz und internationale Richtlinien berufen, haben aber bislang keine unabhängige Stelle, an die sie sich wenden können. Sie müssen zum Lehrer, Schulleiter oder Schulamt.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fordert deshalb unabhängige Beratungs‐ und Beschwerdestellen für Schulen und Hochschulen, die Betroffenen leicht zugängliche und schnelle Hilfe anbieten. Christine Lüders, Leiterin der ADS erklärt in der Pressemitteilung zum Bericht: „Deutschland kann es sich langfristig nicht leisten, ganze Gruppen von Schülerinnen und Schülern am Bildungserfolg nicht chancengerecht teilhaben zu lassen. Gerade im Hinblick auf die demografische Entwicklung braucht Deutschland jeden qualifizierten Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung, Geschlecht, Behinderung, aber auch sozialer Herkunft“.
Von Ferda Ataman, MDI
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