Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Türkei haben auch in Deutschland eine große Bedeutung, sagt Yunus Ulusoy, Forscher am Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung bei einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES. 2,8 Millionen Menschen mit sogenanntem türkischen Migrationshintergrund leben in Deutschland – die größte Community in der Bundesrepublik.
Gleichzeitig spielten "Auslandtürk*innen" eine zunehmend große Rolle in der türkischen Politik, sagt Sinem Adar, Forscherin am Centrum für angewandte Türkeistudien. Türkische Bürger*innen im Ausland machen einen Anteil von etwa 5,3 Prozent aller Wähler*innen aus. Etwa die Hälfte von ihnen lebt in Deutschland. Bei einer besonders umkämpften Wahl wie der Parlaments- und Präsidentschaftswahl am 14. Mai könnten diese Wähler*innenstimmen entscheidend sein.
Türkeistämmige Personen in Deutschland hätten bei dieser Wahl ein starkes Engamente gezeigt, sagt Gökay Sofuoğlu, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Die Wahlbeteiligung in Deutschland lag in der ersten Woche nach Beginn der Wahl deutlich über den Werten der vorherigen Wahl 2018.
Auch Opposition macht Wahlkampf im Ausland
Viele türkische Staatsbürger*innen in Deutschland haben sich an der Wahl beteiligt – und das obwohl es diesmal keine große Kundgebungen im Zusammenhang mit dem Wahlkampf gegeben habe wie bei der vorherigen Wahl 2018 – so Sofuoğlu.
Ob die höhere Wahlbeteiligung der Koalition um den regierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan oder dem 6er Oppositionsbündnis "Millet İttifakı" zugute kommt, sei schwer einzuschätzen, sagt Wahlexpertin Sinem Adar. Bislang habe vor allem die regierende AKP Wahlkampf im Ausland gemacht. In diesem Jahr habe auch die Opposition zum ersten Mal versucht, Wähler*innen im Ausland zu mobilisieren. Beide Koalitionen haben zwar einen emotionalen Wahlkampf geführt – um konkrete Inhalte sei es jedoch selten gegangen, sagt Sofuoğlu.
Konkret werde sich für türkeistämmige Personen in Deutschland auch nicht viel ändern, kommentiert Ulusoy – und zwar unabhängig davon, welche Koalition die Wahl gewinnen wird. In einem Punkt könnte ein Regierungswechsel die deutsch-türkischen Beziehungen dennoch beeinflussen, sagt der Politikwissenschaftler: Sollte die Opposition gewinnen, könnte sich das Bild der Auslandstürk*innen positiv ändern, indem diese nicht mehr mit Erdoğans autokratischer Politik assoziiert werden.
Trotz emotionalem Wahlkampf beobachten die Expert*innen keine starke Polarisierung der deutsch-türkischen Community. Das könnte sich allerdings ändern, wenn es bei der Präsidentschaftswahl zu einer Stichwahl käme – vor allem wenn dabei der regierende Präsident Erdoğan nicht als Favorit gelten sollte, sagt Ulusoy. Dann könnten die Töne deutlich schärfer werden.
Von Reza Nazir
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