Am 14. Mai 2023 werden türkische Staatsbürger*innen das Parlament und den Präsidenten neu wählen. Neben den Wahlberechtigten in der Türkei gibt es auch viele türkische Staatsbürger*innen im Ausland, die seit einer Änderung der Wahlbestimmungen 2012 aus dem Ausland wählen können. In Deutschland leben rund 2,8 Millionen Personen mit sogenanntem türkischen Migrationshintergrund. Es ist die größte Community weltweit. 1,5 Millionen von ihnen können an der Wahl teilnehmen.
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Welche Parteien stehen zur Wahl?
Bei der kommenden Wahl stehen sich zwei größere Lager gegenüber:
- Das Regierungsbündnis (Cumhur İttifakı); Präsidentschaftskandidat ist der derzeitig Amtierende, Recep Tayyip Erdoğan (AKP); beteiligte Parteien sind die beiden Regierungsparteien AKP (rechts-konservativ) und MHP (rechtsextrem).
- Das 6-er Oppositionsbündnis (Millet İttifakı); Präsidentschaftskandidat ist der Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu (CHP); beteiligt sind sechs Parteien, die teilweise Abspaltungen größerer Parteien sind: CHP (säkular; von links bis nationalistisch-konservativ), İYİ-Parti (nationalistisch, Abspaltung von der MHP), Saadet Partisi (islamistisch-konservativ), DEVA Partisi (liberal-konservativ, von einem ehemaligen AKP-Mitglied geführt), Gelecek Partisi (liberal-konservativ, von einem ehemaligen AKP-Mitglied geführt) und DP (mitte-rechts)
Eine weitere wichtige Partei ist die „Yeşil Sol Parti“, eine grün-linke Partei. Aufgrund des Verbotsverfahrens gegen die kurdische HDP könnte sie zum Auffangbecken für deren Wähler*innen werden.
Wahlberechtigte
Zur Wahl in der Türkei sind insgesamt 64,1 Millionen Menschen wahlberechtigt. 3,4 Mio. von ihnen leben im Ausland. In der Türkei gilt offiziell die Wahlpflicht. Wie stark der türkische Staat diese durchsetzt, ist jedoch unklar.
Wahlberechtigte in Deutschland
In Deutschland leben 1,5 Millionen wahlberechtigte türkische Staatsbürger*innen. Das ist ungefähr die Hälfte aller Menschen mit sogenanntem türkischem Migrationshintergrund in Deutschland (ca. 2,8 Millionen). Deutschland ist das Land mit den meisten Wahlberechtigten außerhalb der Türkei.
Die Wahl in Deutschland
Türkische Staatsbürger*innen können in 17 Wahllokalen ihre Stimmen abgeben. Die Wähler*innen in Deutschland können vom 27. April bis zum 9. Mai (1. Mai in einigen Wahllokalen) ihre Stimmen abgeben. In den ersten fünf Tagen der Wahl haben schon knapp 300.000 Personen gewählt – 24 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum der Wahlen 2018. Kommt es in der Präsidentschaftswahl zur Stichwahl, findet die zweite Runde in Deutschland zwischen dem 20. Mai und dem 24. Mai statt (21. Mai in einigen Wahllokalen).
Ursprünglich waren 26 Wahllokale vorgesehen, am 2. Mai gab die Hohe Wahlkommission der Türkei bekannt, dass in Bielefeld, Fulda, Limburg, Mannheim, Saarbrücken, Dortmund, Siegen, Ulm und Kiel die Wahlen abgesagt wurden. Dies liegt daran, dass für diesen neun nicht-konsularischen Standorten von den deutschen Innenbehörden keine Genehmigungen erteilt wurden.Quelle
Wie wählen Türkeistämmige in Deutschland?
Bei der letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahl 2018 nahmen rund 46 Prozent der 1,4 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland an der Wahl teil. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei etwa 86 Prozent.
Tendenziell schneidet die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland besser ab als in der Türkei: Bei der Präsidentschaftswahl 2018 gewann Erdoğan (AKP) mit insgesamt 52,4 Prozent der Stimmen, konnte aber in Deutschland mit 64,8 Prozent eine deutlich höhere Zustimmungsquote erzielen. Ähnlich war es beim Verfassungsreferendum, mit dem die AKP 2017 die Befugnisse des Präsidenten erweiterte: In der Türkei stimmten 51,4 Prozent der Wähler*innen dem Referendum zu, in Deutschland waren es 61,3 Prozent.
Die wichtigste Oppositionspartei, CHP, hat bislang in Deutschland niedrigere Wahlergebnisse erzielt als in der Türkei: Bei der Parlamentswahl 2018 kam sie in der Türkei auf rund 22,2 Prozent, in Deutschland lediglich auf 15,6 Prozent.
Als Gründe für den Erfolg von Präsident Erdoğan und seiner Partei in Deutschland nennen Forscher*innen die besondere Aufmerksamkeit der Partei für Auslands-Türk*innen: 2010 gründete die Regierung Erdoğans etwa ein „Amt für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften“ (YTB). Weitere Gründe seien Frust und Unzufriedenheit vieler türkeistämmiger Personen in Deutschland, die Diskriminierung und soziale Ausgrenzung erleben – und deshalb Erdoğans nationalistische und oftmals antieuropäische Haltung befürworteten
Zwischen den Bundesländern gibt es erhebliche Unterschiede. Die AKP ist besonders beliebt in den traditionellen Gebieten der Arbeitsmigration aus der Türkei wie Nordrhein-Westfalen.
Wissenschaftler*innen nehmen an, dass die erste Generation an Einwanderer*innen, die in den 1960er Jahren meist aus Anatolien nach Deutschland kamen, eher die AKP wählen. Die Wähler*innen der pro-kurdischen, linksgerichteten HDP hingegen sind vor allem Personen, die in den 1980er und 1990er Jahren aus politischen Gründen die Türkei verlassen haben oder nach 2016 eingewandert sind.
Von Reza Nazir
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