DITIB ist der mit Abstand größte islamische Dachverband in Deutschland. Er vertritt rund ein Drittel der bundesweit etwa 2.600 Moscheegemeinden, das macht ihn zu einem Schwergewicht. Der Verband ist aber theologisch, personell und strukturell von der staatlichen türkischen Religionsbehörde in Ankara abhängig. Die Imame, die in deutschen DITIB-Moscheen predigen, werden als türkische Staatsbeamte aus Ankara entsendet, kontrolliert und bezahlt und bleiben in der Regel fünf Jahre in Deutschland. Das macht seine Einordnung so schwer: Ist er eine eigenständige Religionsgemeinschaft, oder der "verlängerte Arm" eines ausländischen Regierung?
Das "Doppelgesicht" der DITIB
Zu DITIB liegen mehrere wissenschaftliche Untersuchungen vor. Die umfassendste und aktuellste stammt von dem Islamwissenschaftler Andreas Gorzewski, der in seiner 2015 veröffentlichten Dissertation detailliert und anschaulich das „Doppelgesicht“ der DITIB beschreibt: Einerseits wird sie vom meist ehrenamtlichen Engagement ihrer Mitglieder getragen, und ist damit eine Migrantenselbstorganisation. Andererseits ist DITIB aber auch ein Ableger der türkischen Religionsbehörde in Ankara, Diyanet genannt.
Gorzewski legt dar, wie es DITIB nach ihrer Gründung in den 1980er Jahren gelang, immer mehr Moscheegemeinden unter ihrem Dach zu vereinen. Der Verband hatte ein Argument, das viele meist finanzschwache Gemeinden zu überzeugen vermochte: Die Gemeinden erhielten einen Imam gestellt, dessen Gehalt vom türkischen Staat bezahlt und dessen theologische Qualifikation amtlich verbürgt wurde. Im Gegenzug überschrieben Gemeinden ihre Gebetsräume oder Moscheen der DITIB-Zentrale in Köln.
Bis vor einigen Jahren galt DITIB der deutschen Politik als verlässlicher Partner, gerade die Nähe zum türkischen Staat machte sie berechenbar. Denn der türkische Staatsislam galt als moderat und als Garant gegen radikale Strömungen. Doch seit der jetzige Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in der Türkei einen zunehmend autokratischen und nationalistischen Kurs eingeschlagen hat, geht die deutsche Politik auf Distanz. Die Zusammenarbeit mit DITIB wurde vielerorts auf Eis gelegt. Politiker haben nach einer Spitzel-Affäre sogar eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ins Spiel gebracht.
Eng mit der türkischen Religionsbehörde verflochten
Gorzewski zeichnet in seiner Studie die enge Verflechtung der DITIB mit der türkischen Religionsbürokratie nach. Zwar wird der Vorstand der Zentrale in Köln von den Mitgliedern gewählt. Doch die Kandidaten werden vorher von einem Beirat ausgesucht, dem der Präsident der türkischen Religionsbehörde vorsteht. Außerdem haben die Vertreter der Religionsbürokratie in der Mitgliederversammlung ein überproportionales Stimmgewicht. So kommt es, dass an der Spitze von DITIB bis heute stets ein aus der Türkei entsandter Theologe steht, der zugleich meist auch noch Botschaftsrat für Religionsfragen ist. Das gilt auch für Kazim Türkmen, der Anfang Januar 2019 zum neuen Vorsitzenden gewählt wurde.
„Um den Vorwurf einer Abhängigkeit vom Diyanet zu entkräften, wäre neben einer Umstrukturierung und zumindest teilweisen Entmachtung des Beirats auch eine neue Stimmgewichtung in der Mitgliederversammlung nötig“, schreibt Gorzewski. Einen solchen Vorstoß gab es schon einmal. Von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, tobte zwischen 2003 und 2007 ein interner Machtkampf, um den Einfluss des Beirats zu beschneiden. Letztlich scheiterte dieser Vorstoß vor Gericht.
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Was denken die DITIB-Moscheegemeinden vor Ort?
2009 wurden mehrere DITIB-Landesverbände gegründet, an deren Spitze in Deutschland aufgewachsene Muslime stehen, die hauptberuflich als Ärzte, Ingenieure oder in anderen Berufen arbeiten. Damit sollten Ansprechpartner für den islamischen Religionsunterricht und die Voraussetzung für die Anerkennung als Religionsgemeinschaft geschaffen werden, die beide Sache der Bundesländer sind. Mit der Gründung der Landesverbände verbanden viele die Hoffnung, DITIB könne unabhängiger von der Türkei werden. Doch die Satzungen und das Wahlrecht sorgen auch auf Landesebene dafür, dass Einfluss und Kontrolle aus Ankara gewahrt blieben. Die Islamwissenschaftlerin Aysun Yasar, die DITIB in ihrer 2012 erschienenen Dissertation untersucht hat, kommt zu dem Schluss, dass die neuen, föderaleren Strukturen nicht „von Diyanet weg in die Eigenständigkeit“ geführt hätten.
Was in der Debatte um die Nähe zum türkischen Staat oft übersehen wird sind die DITIB-Moscheegemeinden vor Ort. Die Soziologin Theresa Beilschmidt hat in ihrer Dissertation das Gemeindeleben in drei DITIB-Moscheen in Hessen untersucht und deren Mitglieder nach ihrem religiösen Selbstverständnis befragt. Dabei stellte sie fest, dass viele ihre Moscheen vor allem als „soziales Netzwerk“ sowie die den Herkünften nach vielfältige Zusammensetzung ihrer Gemeinden schätzen. Beilschmidt bezeichnet die DITIB-Gemeinden deswegen als „Volksmoscheen“, in denen sich die „Normalos“ unter den sunnitischen Muslimen in Deutschland versammeln. Eine größere Unabhängigkeit vom türkischen Religionsministerium werde von vielen gar nicht gewünscht, im Gegenteil: Die Religionsbehörde Diyanet steht in ihren Augen für eine verlässliche Islam-Interpretation.
Wie geht es weiter mit DITIB?
In Hessen hatte die Landesregierung 2013 den hessischen DITIB-Landesverband zum Partner für den islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen erkoren. Dieses Modell steht jetzt auf der Kippe. Vor einem Jahr gab das Kultusministerium drei Gutachten in Auftrag, um dem Vorwurf einer Einflussnahme aus der Türkei nachzugehen. Dafür fanden die beauftragten Wissenschaftler, darunter der Erlanger Jurist Mathias Rohe und der Soziologe Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, zwar keine Anhaltspunkte. Doch das hessische Bildungsministerium forderte den DITIB-Landesverband auf, seine Satzung zu ändern und von der Türkei unabhängige Vertreter in seine Gremien zu berufen, um eine solche Einflussnahme auch in Zukunft auszuschließen. Diese Frist läuft zum Februar aus.
In der deutschen Politik herrscht große Einigkeit darüber, dass sich DITIB in Zukunft organisatorisch, personell und finanziell stärker von der Türkei lösen sollte. Der Jurist Mathias Rohe plädiert in seinem Gutachten dafür, den Einfluss des Religionsministeriums auf theologische Fragen zu beschränken. Außerdem schlägt er vor, an Stelle des türkischen Staates solle DITIB selbst der Dienstherr seiner Imame werden. Dann könnte der Verband auch Imame anstellen, die hierzulande ausgebildet wurden. Der Schlüssel für eine solche Lösung liegt aber in Ankara.
Von Daniel Bax
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