Schon 1998 hatten der "Islamrat" und der "Zentralrat der Muslime" auf die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen in Nordrhein-Westfalen geklagt. Der Fall ging bis zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das ihn 2005 an das Oberverwaltungsgericht in Münster (OVG) zurückverwies. Die Klage ist also alt, das Verfahren aber ruhte lange Zeit.
Denn 2012 führte Nordrhein-Westfalens damalige rot-grüne Landesregierung einen provisorischen Islamunterricht ein, die großen Islam-Verbände wurden dabei mit einbezogen. Dieser Islam-Unterricht wird landesweit an 230 Schulen angeboten, etwa 20.000 Schüler nehmen daran teil. Der Modellversuch ist bis 2019 befristet. Er unterscheidet sich von einem Religionsunterricht im Sinne des Grundgesetzes dadurch, dass ein achtköpfiger Beirat und nicht eine Religionsgemeinschaft seine Lehrinhalte bestimmt und das Lehrpersonal auswählt. Dieser Beirat besteht zur einen Hälfte aus Vertretern, die das Schulministerium in NRW ernennt, zur anderen Hälfte aus Vertretern muslimischer Verbände. Die Islam-Verbände wollen jedoch gerne allein über Inhalt und Ausgestaltung des Religionsunterrichts bestimmen, wie es Religionsgemeinschaften nach dem Grundgesetz zusteht. Deshalb nahmen sie die Klage wieder auf.
Das Urteil und seine Begründung
Das Oberverwaltungsgericht in Münster kam am 9. November 2017 zu dem Urteil, dass der "Islamrat" und der "Zentralrat der Muslime" nicht als Religionsgemeinschaften anzusehen seien. Deshalb hätten die beiden Verbände auch keinen Anspruch darauf, islamischen Religionsunterricht anzubieten. Die Richter begründen ihr Urteil damit, dass die beiden Dachverbände gegenüber ihren Mitgliedsverbänden nicht über genügend Lehrautorität verfügen. Diese religiöse Autorität müsse bis hinunter zu den Moscheegemeinden reale Geltung haben. Das sei bei beiden klagenden Islamverbänden nicht gegeben.
Hinzu komme, dass der Zentralrat keine "identitätsstiftenden Aufgaben" wahrnehme. Beide Kriterien hatte das Bundesverwaltungsgericht zur Voraussetzung für eine Anerkennung als Religionsgemeinschaften erklärt. Das heißt, dass die Verbände den Inhalt der Konfession jeweils vorgeben, beschreiben und gestalten müssen. Eine Revision gegen das Urteil ließ das Gericht nicht zu.
Was folgt aus dem Urteil?
„Die Frage ist jetzt: Wie macht man weiter – und mit wem?“, sagt Heinrich de Wall, der am Institut für Kirchenrecht der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen lehrt. Er hält die Prämisse des Urteils für fragwürdig. „Für den Staat muss es egal sein, wie sich eine Religionsgemeinschaft organisiert. Die Evangelische Kirche in Deutschland ist in diesem Sinne ja auch eher ein Dachverband als eine Religionsgemeinschaft“, so der Staatskirchenrechtsexperte. „Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften umfasst das Recht, über die eigene Organisationsform zu entscheiden. Pragmatisch wäre es, die einzelnen Moscheegemeinden als Religionsgemeinschaften zu betrachten, deren Interessen durch die Dachverbände vertreten werden.“
Das Urteil sei für alle muslimischen Verbände ein Rückschlag. Es habe zwar keine direkten Auswirkungen auf andere Bundesländer, in denen der islamische Religionsunterricht anders und sehr unterschiedlich geregelt wird. Aber es werde sich sicher auf das Verhalten des Staates und das politische Klima gegenüber diesen Verbänden auswirken. Den Verbänden bleibe jetzt nur eine Nichtzulassungsbeschwerde – und danach, falls diese erfolglos war, gegebenenfalls eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht.
Auch Hans-Michael Heinig, der am kirchenrechtlichen Institut der Georg-August-Uni Göttingen lehrt, schließt sich dieser Auffassung an. „Mittelfristig wäre es sinnvoll, wenn die Kriterien und Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts auf den Prüfstand kämen. Dann wird das Verfassungsgericht letztinstanzlich klären, ob die bisher angelegten Maßstäbe nicht zu streng sind.“ Er warnt vor überspannten Erwartungen an die religiöse Autorität der Verbände: „Einen Papst müssen die nicht haben.“
Das Urteil betreffe zunächst nur die beiden Islam-Verbände, die geklagt haben, schränkt er ein. Bei Ditib, dem größten deutschen Islamverband, sei an dessen Lehrautorität nicht zu zweifeln, meint er Staatskirchenrechtler. Ditib ist der türkischen Religionsbehörde untergeordnet, und in seinem Vorstand sitzen Theologen. „Bei Ditib stellt sich eher die Frage, wie staatsfrei eine deutsche Religionsgemeinschaft sein muss“, sagt Heinig. „Und im Unterschied etwa zur dänischen Staatskirche kommt der Regierungseinfluss bei Ditib aus einem Land, das sich derzeit in Fragen der Menschenrechte und der Demokratie in einer bedrohlichen Kipplage befindet.“ Ditib ist in Nordrhein-Westfalen bislang auch nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt, hatte sich der Klage der anderen beiden Verbände aber nicht angeschlossen.
Stefan Muckel, der am Institut für Kirchenrecht der Universität Köln lehrt, hält das gegenwärtige Beiratsmodell in NRW für verfassungswidrig. „Das Grundgesetz gibt vor, dass der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Glaubensüberzeugungen der Religionsgemeinschaften erteilt werden soll – nicht in Übereinstimmung mit den Glaubensüberzeugungen eines Beirats“, sagt er.
Vom Urteil des OVG Münster zeigt sich Muckel „überrascht“. „Juristisch ist die Lage relativ eindeutig“, sagt er. „Politisch ist das Thema aber sehr heikel.“ Darum habe sich in den letzten zwanzig Jahren in dieser Frage vergleichsweise wenig getan. Hätten die Verbände mit ihrer Klage Erfolg gehabt, und wären sie damit indirekt als Religionsgemeinschaften anerkannt worden, dann hätte das gravierende Folgen für den islamischen Religionsunterricht auch in allen anderen Bundesländern gehabt. Die muslimischen Verbände könnten jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen, sondern müssten die juristische Klärung vorantreiben – durch alle Instanzen. Bis zur endgültigen juristischen Klärung bleibt es in NRW beim derzeitigen Beiratsmodell. Die aktuelle schwarz-gelbe Landesregierung hat angekündigt, dass sie es auch über 2019 hinaus weiterführen will.
Von Daniel Bax
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