Von Gerdien Jonker und Martin Herzog, Erlanger Zentrum für Islamisches Recht in Europa (EZIRE), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg:
Wie Mitte Juni bekannt wurde, hat das Land Hessen der islamischen Religionsgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) bereits Ende April den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen. Die Meldung kam für viele überraschend, nicht zuletzt weil die AMJ in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt ist.
Bei der Ahmadiyya-Gemeinschaft handelt es sich um eine indo-pakistanische Reformbewegung mit weltweit mehreren zehn Millionen Mitgliedern. In Deutschland umfasst sie nach eigenen Angaben etwa 35.000 Mitglieder, unterhält über 30 Moscheen und etwa 225 lokale Gemeinden sowie einen TV-Sender und einen Verlag. (Kurz-Information zur Geschichte der Ahmadiyya-Gemeinschaft)
In Deutschland stellt die Anerkennung der Ahmadiyya Muslim Jamaat als Körperschaft des öffentlichen Rechts eine bedeutsame religionsverfassungsrechtliche Wegmarke dar. Damit hat die AMJ als erste sich in der Tradition des Islam sehende Gemeinschaft diesen symbolträchtigen Rechtsstatus erhalten, der ihr Zugang zu einer Reihe besonderer Rechte eröffnet. So haben Körperschaften des öffentlichen Rechts unter anderem die Möglichkeit,
- Beiträge ihrer Mitglieder durch staatliche Finanzbehörden einziehen zu lassen (Steuererhebungsrecht),
- beamtenähnliche öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse zu begründen (Dienstherrenfähigkeit)
- zuziehende Gemeinschaftsmitglieder am neuen Wohnort in Anspruch zu nehmen (Parochialrecht),
- sowie eigene Friedhöfe anzulegen.
Damit unterscheiden sie sich von privatrechtlichen Organisationsformen wie der bekanntesten und wohl am weitesten verbreiteten Form des eingetragenen Vereins (e.V.), bei der immerhin auch die Möglichkeit der steuerlichen Begünstigung von Spenden und Mitgliedsbeiträgen besteht, wenn dieser steuerbegünstigte, insbesondere gemeinnützige Zwecke verfolgt.
Was bedeutet hier "Körperschaft des öffentlichen Rechts"?
Religionsgemeinschaften, die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt sind, unterscheiden sich grundlegend von Körperschaften im verwaltungs- und staatsorganisationsrechtlichen Sinne, wie etwa Gemeinden oder Universitäten. Im Gegensatz zu diesen Personenverbänden, die staatliche Aufgaben unter staatlicher Aufsicht wahrnehmen, werden Religionskörperschaften weder durch staatlichen Rechtsakt gegründet, noch stehen sie unter staatlicher Aufsicht. Vielmehr bleibt es auch hier – schon wegen des Verbots der Staatskirche – bei der Trennung von Staat und Kirche(n) beziehungsweise Religionsgemeinschaften.
Die Bezeichnung ist daher eher ein ‚Mantelbegriff‘, mit dem die besondere Rechtsstellung umschrieben werden soll, oder ein ‚Sammelbegriff‘ für eine Reihe einzelner Befugnisse, die sonst für den Staat typisch sind. Ob eine Religionskörperschaft von diesen Befugnissen Gebrauch macht, bleibt jedoch ihrer eigenen Entscheidung überlassen. Es ist daher zulässig, wenn die AMJ – wie angekündigt – auf absehbare Zeit keine Steuern erheben will.
Welche Voraussetzungen gibt es für die Anerkennung?
Der rechtliche Status einer Körperschaft ist nicht auf die christlichen Großkirchen beschränkt, sondern steht auch anderen Religionsgemeinschaft offen, wenn diese die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Die hierbei anzulegenden Kriterien sind jedoch wegen der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht theologisch-inhaltlicher, sondern formal-organisatorischer Natur: Religionsgemeinschaften müssen „durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten“.Quelle
Es findet demnach keine Bewertung der Religion unter theologischen Gesichtspunkten statt, sondern nur eine Prüfung der rechtlichen, formal-organisatorischen Voraussetzungen.
In der Sache wurde von den zuständigen Stellen bisher zumeist gefordert,
- dass die Religionsgemeinschaft seit mindestens 30 Jahren existiert,
- ihr mindestens ein Tausendstel der Bevölkerung eines Landes angehört
- und die Rechtstreue gewährleistet ist.
Für die Anerkennung erforderlich ist zudem eine verfestigte Organisationsstruktur, formale Mitgliedschaft (mit Ein- und Austritten) sowie eine organisatorische Stabilität. Im Detail sind diese Kriterien jedoch in jüngerer Zeit wieder in die Diskussion geraten. So hat das Bundesverwaltungsgericht im Fall der Bahá'i-Gemeinde auch eine niedrigere Mitgliederzahl für ausreichend erachtet (Urteil von November 2012).
Die AMJ hatte ihren Antrag in Hessen gestellt, wo das Kultusministerium für die Entscheidung zuständig war. In anderen Bundesländern weichen Zuständigkeit, Verfahren und Form hiervon jedoch nicht selten ab. Daraus ergibt sich, dass die Körperschaftsrechte für das Sitzland verliehen werden. Als ‚überregionaler Akt‘ entfaltet die Anerkennung jedoch auch über das verleihende Bundesland hinaus Wirkungen. So kann die AMJ in der gesamten Bundesrepublik als Körperschaft des öffentlichen Rechts auftreten. Will sie jedoch auch außerhalb Hessens Körperschaftsrechte vollumfänglich wahrnehmen, muss sie auch im jeweiligen Bundesland das maßgebliche Verfahren durchlaufen.
Dies dürfte allerdings in vielen Fällen weniger Schwierigkeiten bereiten, da die bereits erfolgte Anerkennung in einem Bundesland (Erstverleihung) die Vermutung begründet, dass die inhaltlichen Voraussetzungen auch für die Zweit- bzw. Folgeverleihung erfüllt sind. Gleichwohl ist es möglich, dass die Anerkennung in einem anderen Bundesland versagt wird, etwa weil sich die tatsächlichen Voraussetzungen (z.B. Mitgliederzahl, Mindestexistenzdauer) dort anders darstellen oder weil die zuständigen Stellen rechtliche Fragen anders beurteilen.
Ausblick: Religionsunterricht ab Herbst 2013
Bereits im Dezember 2012 hatte die AMJ in Hessen mit der Anerkennung als Kooperationspartner für bekenntnisgebundenen Religionsunterricht eine wichtige rechtliche Hürde genommen. Im Mai diesen Jahres hatte das Hessische Kultusministerium mitgeteilt, dass zum Schuljahr 2013/2014 an 27 Grundschulen im Land Hessen bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht eingeführt wird. Kooperationspartner für den islamischen Religionsunterricht ist die AMJ allerdings nur an zwei Schulen, an 25 Schulen ist dies der türkisch-sunnitisch geprägte DITIB Landesverband Hessen.
Dr. Gerdien Jonker ist Religionswissenschaftlerin und -historikerin. Sie publizierte unter anderem zur europäischen Wahrnehmungen von Juden und Muslimen, Institutionalisierung des Islam sowie islamische Mission in Europa. Derzeit forscht sie am Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE) der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg zur Geschichte der Ahmadiyya-Mission in Europa "Ahmadiyya-Missionare in den Fußspuren der Globalisierung (1920-1990)".
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Martin Herzog ist Jurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter am EZIRE, wo er im Rahmen des deutsch-französischen Forschungsprojekts PROMETEE „Understanding Property in Moslem Transitional Evironments“ forscht. Zuvor war er am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der er Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg tätig.
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