Das Jahr 2015 wird als Wendepunkt der deutschen und europäischen Asyl- und Migrationspolitik angesehen. Innerhalb weniger Monate kamen mehr als eine Million Geflüchtete nach Europa – vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Ein Rückblick auf die Ereignisse, welche die (Flucht-)migration 2015 geprägt haben, zeigt: Der Anstieg und Rückgang der Flüchtlingszahlen wurde von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Ein Überblick.
Ereignisse in Europa
Ereignisse in Deutschland
Februar 2015
Schiffbruch vor Lampedusa
Mindestens 300 Personen sollen beim Versuch, von Libyen nach Italien zu gelangen, im zentralen Mittelmeer ertrunken sein. Aufgrund der steigenden Zahl der Todesopfer haben mehrere Nichtregierungsorganisationen wie etwa die "Migration Offshore Aid Station", "Sea Watch" und "Ärzte ohne Grenzen" wenige Monate zuvor angefangen, private Seenothilfe im Mittelmeer zu leisten.Quelle
März 2015
Bundesländer schlagen Alarm
Mehrere Bundesländer plädieren dafür, dass die jährliche Flüchtlingszahlen-Prognose (und die Finanzierung für die Flüchtlingsaufnahme) deutlich angehoben wird: von 300.000 auf 500.000 Asylanträge im Jahr.Quelle
April 2015
Mehr als 1.400 Todesopfer in einer Woche
Innerhalb einer Woche sterben bei zwei Schiffbrüchen vor den italienischen Küsten mehr als 1.400 Menschen. Beim zweiten Schiffbruch sterben mehrere Familien mit Kindern im Schiffsraum eines Kutters. Bei einem Sondergipfel beschließt der Europäische Rat, die EU-Operationen im Mittelmeer zu erweitern und die irreguläre Migration durch Kooperationen mit Drittstaaten stärker zu bekämpfen. Im Gesamtjahr werden mehr als 4.000 Todesfälle im Mittelmeer dokumentiert.Quelle
Mai 2015
Europäische Agenda für Migration
Die Europäische Kommission legt die "Europäische Agenda für Migration" vor. Erklärte Ziele sind eine faire Verteilung von Geflüchteten in der EU, der Kampf gegen Schleuserkriminalität, die Bekämpfung von Fluchtursachen und der Ausbau legaler Zuwanderungsmöglichkeiten.Quelle
Juni 2015
Relocation-Plan der EU
Der Europäische Rat beschließt, ankommende Geflüchtete aus Italien und Griechenland unter den Mitgliedstaaten zu verteilen (Relocation). Zunächst soll es um 60.000 Menschen gehen; die Zahl wird später auf 160.000 Personen (bis 2017) erhöht. Tatsächlich umgesiedelt werden bis März 2018 rund 33.900 Personen.Quelle
BAMF führt schriftliches Verfahren ein
Um der Bearbeitungsstau bei Asylverfahren zu reduzieren, führt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein schriftliches Verfahren für Asylbewerber aus Eritrea, Syrien und für Angehörige von religiösen Minderheiten aus dem Irak ein.Quelle
Proteste gegen Asylpolitik
Im sächsischen Freital protestieren Anwohner und rechtsextreme Gruppen (zum Teil gewaltätig) gegen die Aufnahme von Geflüchteten. Aus den Reihen der Demonstranten bildet sich eine Terror-Gruppe, die später Sprengstoffanschlägen gegen Asylsuchende verübt. Insgesamt zählte das Bundesinnenministerium 2015 mehr als 80 Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Aufnahme von Geflüchteten.Quelle
Juli 2015
Ungarn schließt Grenze zu Serbien
Die ungarische Regierung beginnt den Bau eines Grenzzauns entlag der südlichen Grenze zu Serbien. Zwei Jahre später wird sich der Grenzzaun über 158 Kilometer erstrecken.Quelle
Gesetz "zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung"
Ein neues Gesetz macht es einfacher, Menschen, die abgeschoben werden sollen, zu inhaftieren. Langzeit-Geduldete sollen zudem einen Aufenthaltsstatus bekommen.Quelle
August 2015
4.000 Personen werden an einem Tag im Mittelmeer gerettet
Vor der Küste Libyens bergen Schiffe der italienischen Marine, der Operation Triton und der zivilen Seenotrettung mehr als 4.000 Schiffbrüchige an einem Tag.Quelle
Nordmazedonien erklärt Notstand
Die nordmazedonische Regierung beschließt, die Grenze zu Griechenland zu schließen. Es gibt Ausschreitungen an Bahnhöfen.Quelle
BAMF setzt Dublin-Regelungen für Syrer aus
Das BAMF gibt über Twitter bekannt, dass syrische Geflüchtete nicht mehr im Rahmen der Dublin-III-Verordnung in andere EU-Staaten überstellt werden.Quelle
Ehrenamtliche leisten Hilfe an Bahnhöfen
In München und in anderen deutschen Städten bilden sich Gruppen von Ehrenamtlichen, die die Flüchtlinge an Bahnhöfen in Empfang nehmen.Quelle
September 2015
Proteste in Ungarn
Flüchtlinge werden in Ungarn daran gehindert, in Züge Richtung Deutschland und Österreich zu steigen und weiterzureisen. Vor den Bahnhöfen in Budapest kommt es zu Protesten. Mehr als 2.000 Geflüchtete versuchen, die Grenze zu Österreich zu Fuß zu erreichen.Quelle
Dublin-Regelungen für alle Flüchtlinge ausgesetzt
Zur Vermeidung einer humanitären Krise setzt die Bundesregierung am 4. September 2015 die Dublin-Regelungen für über Ungarn und Österreich nach Deutschland einreisende Asylbewerber aus.Quelle
Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze
Deutschland führt Grenzkontrollen an den südlichen Grenzen ein und setzt somit das Schengener Abkommen außer Kraft. Die Grenzkontrollen werden bis heute – mit Unterbrechungen – weitergeführt.Quelle
Kroatien schließt Grenzen zu Serbien
Sowohl Ungarn als auch Kroatien schließen die Grenzübergänge nach Serbien. Mehrere Hundert Personen versammeln sich an den Übergängen und versuchen, die Blockaden zu überwinden.Quelle
Oktober 2015
Asylpaket I tritt in Kraft
Das Asylpaket I beinhaltet Änderungen im Aufenthalts- und Asylrecht: Asylbewerber bleiben statt drei bis zu sechs Monate in Erstaufnahmeeinrichtungen und bekommen überwiegend Sachleistungen, Asylverfahren sollen beschleunigt werden, die Bundesländer sollen durch eine "Kopfpauschale" von 670 Euro pro Flüchtling im Monat entlastet werden. Albanien, Kosovo und Montenegro werden "sichere Herkunftsstaaten".Quelle
Verhandlungen zwischen EU und Türkei
Die Europäische Union und die Türkei entwickeln einen gemeinsamen "Action Plan", um Fluchtmigration zu reduzieren. Der Plan sieht u.a. Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger*innen und finanzielle Unterstützung vor. Außerdem: Mithilfe des UNHCR sollen 100.000 Aufnahmeplätze entlang der Balkanroute eingerichtet werden.Quelle
November 2015
Weitere EU-Staaten bauen Grenzzäune
Nach Ungarn bauen auch Slowenien und Österreich Grenzzäune entlang der sogenannten Balkanroute. Seit 2015 hat sich die Gesamtlänge von Grenzmauern und -zäunen in der EU versechsfacht.Quelle
Januar 2016
Kölner Silvesternacht löst Debatte über Flüchtlingskriminalität aus
Mehr als 1.200 Anzeigen (rund 500 wegen sexueller Übergriffe) werden im Zusammenhang mit Übergriffen in der Silvesternacht in Köln gestellt. Die Tatverdächtigen sind überwiegend Asylsuchende aus Nordafrika. Die Ereignisse der Silvesternacht verschärfen die Debatte über Flüchtlinge und Kriminalität.Quelle
Grenzkontrollen verlängert
Mehrere EU-Mitgliedstaaten fordern eine Verlängerung der Grenzkontrollen an EU-Binnengrenzen. Der Schengener Grenzkodex wird für zwei Jahre ausgesetzt.Quelle
Februar 2016
"Schließung" der Balkanroute
Die EU-Staaten entlang der "Balkan-Route" (Österreich, Ungarn, Slowakei, Kroatien) sowie Nordmazedonien verschärfen noch einmal ihre Grenzkontrollen. Die Fluchtmigration entlang der Route geht zurück.Quelle
EU-Türkei-Abkommen
Die EU-Mitgliedstaaten und die Türkei schließen ein Abkommen, um die Fluchtmigration im östlichen Mittelmeer anzuhalten. Die Kontrollen in der Ägäis werden verstärkt; Flüchtlinge, die die griechischen Inseln aus der Türkei erreichen, sollen zurückgeschoben werden. Die EU-Mitgliedstaaten zahlen der türkischen Regierung sechs Milliarden Euro für den Ausbau der Kontrollen und die Aufnahme von Geflüchteten.Quelle
Asylpaket II tritt in Kraft
Neues Gesetzespaket im Bereich Asyl/Migration: Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wird für zwei Jahre ausgesetzt; über Asylverfahren von Bewerbern aus "sicheren Herkunftsstaaten" und von Menschen, die über ihre Identität täuschen, wird im Eilverfahren entschieden. Es werden "Ankunftszentren" für schnellere Asylverfahren eingerichtet.Quelle
Von Elisabeth Schmidt-Ott
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