Im vergangenen Jahr sind 42.300 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) in Deutschland eingereist. Früher durften sie in der Stadt bleiben, in der sie angekommen sind. Doch im November gab es eine Gesetzreform: Die Minderjährigen werden zunächst nur noch vom Jugendamt vor Ort "vorläufig in Obhut" genommen, dann können sie nach einem Quotenschlüssel deutschlandweit verteilt werden. Im Fall einer Umverteilung versorgt das nun zuständige Jugendamt im anderen Bundesland die Minderjährigen und weist sie einer Kommune zu.
Das entlastet Orte, an denen viele Flüchtlingen aufgegriffen werden, wie Bremen, Hamburg, Berlin und einige Städte in Bayern. Aber: Viele Kommunen, die vorher keine unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge betreut haben, müssen sich jetzt auf sie einstellen. Wie gut funktioniert das neue Verfahren?
Der "Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" hat Menschen befragt, die mit jugendlichen Flüchtlingen arbeiten. Die meisten von ihnen waren Betreuer und Mitarbeiter der Jugendämter. Die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage im Überblick:
Ein Viertel der Befragten berichtete, dass Jugendliche während der "vorläufigen Inobhutnahmen" in Notunterkünften wie Hotels, Hostels oder Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber leben. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Bundesländern groß: In Berlin gaben 55 Prozent der Teilnehmer an, dass Minderjährige in provisorischen Heimen lebten, während es in Rheinland-Pfalz nur knapp elf Prozent waren. Der Bundesfachverband kritisiert, dass solche temporären Unterkünfte gegen das Kindeswohl verstoßen können.
Eigentlich soll die vorläufige Inobhutnahme nicht länger als sieben Tage dauern. Doch die Realität ist eine andere: In der Regel dauert sie länger als einen Monat, sagte über die Hälfte der Befragten. Die anschließende Inobhutnahme nach der Weiterverteilung dauere länger als drei Monate, erklärten 40 Prozent der Befragten. Der "Bundesfachverband" sieht die langen Wartezeiten kritisch: Erst wenn die Jugendlichen in einer Kommune aufgenommen wurden, können sie zur Schule gehen und bekommen einen Vormund, der für sie Asyl beantragen kann. Viele tausend unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden volljährig, ohne dass sie einen Asylantrag stellen oder eine Schule besuchen konnten.
Auch in der medizinischen Versorgung gebe es Lücken, berichteten die Teilnehmer der Umfrage: „Während der vorläufigen Inobhutnahme ... wird keine Erstuntersuchung mit Lungenröntgen [und] Blutabnehmen mehr durchgeführt. Der Schutz für Mitarbeiter und die Jugendlichen selbst ist nicht gewährleistet“, wird ein Befragter aus Hessen zitiert. 60 Prozent gaben an, dass die Jugendlichen während der vorläufigen Inobhutnahme nicht geimpft werden und ein Drittel, dass nicht auf Infektionskrankheiten untersucht wird. Nur 16 Prozent sagten, dass die Minderjährigen psychotherapeutisch versorgt werden.
Der "Bundesfachverband" fordert, den Aufnahmeprozess zu beschleunigen. Zudem sollten die beteiligten Behörden und Einrichtungen besser miteinander vernetzt werden. Schließlich sollte man auch die Jugendlichen über die Entscheidungen umfassend informieren und sie miteinbeziehen, fordert der Verband. So könne man auch verhindern, dass sie sich auf eigene Faust auf den Weg machen und als vermisst gemeldet werden.
Von Jenny Lindner
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