⇒ Wie hoch ist die Zahl der unbegleiteten Minderjährigen?
Was wir wissen:
Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) zu bestimmten Stichtagen von Jugendämtern betreut wurden – also die Bestandszahlen. Seit Ende 2014 haben sich diese Zahlen verdreifacht. Rund 60.000 UMF lebten zum Stichtag 15. April 2016 in der Bundesrepublik, teilte ein Sprecher des Familienministeriums dem MEDIENDIENST mit.
Was wir nicht wissen:
Wie viele UMF zuletzt neu in Deutschland eingereist sind. Aus den Bestandszahlen geht das nicht hervor. Und viele unbegleitete Minderjährige stellen keine Asylanträge und werden deshalb nicht zentral registriert (dazu unten mehr). Amtliche Zahlen über Minderjährige, die eingereist und von den Jugendämtern neu aufgenommen wurden, liegen nur für 2014 vor. Damals gab es rund 11.600 Inobhutnahmen. Für 2015 gibt es nur eine Schätzung des "Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" (Bundesfachverband umF). Demnach lag die Zahl zwischen 30.000 und 50.000.
Erstmals hat das Bundesfamilienministerium nun dem MEDIENDIENST eine Schätzung für das erste Quartal 2016 genannt: 19.400 Inobhutnahmen soll es gegeben haben. Das legt nahe, dass die Zahl der UMF deutlich zugenommen hat. Doch Anfragen des MEDIENDIENSTES bei Jugendämtern in München, Passau, Berlin, Bremen und Hamburg zeigen einen anderen Trend: An allen angefragten Orten ist die Zahl der Inobhutnahmen deutlich gesunken.
⇒ Wie viele stellen einen Asylantrag?
Was wir wissen:
2014 haben laut Bundesregierung nur rund 38 Prozent derjenigen, die in Obhut genommen wurden, einen Asylantrag gestellt. Bei 11.600 Inobhutnahmen gab es 4.399 Asylerstanträge. Im Jahr 2015 lag die Zahl der Asylerstanträge von UMF bei etwa 14.500.
Was wir nicht wissen:
Wieso so wenige einen Asylantrag stellen. Laut einer Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) raten soziale Dienste und Nicht-Regierungsorganisationen mitunter davon ab, weil es oft schwierig sei, die Gründe für die Flucht geltend zu machen. Tobias Klaus, Referent beim Bundesverband erklärt hingegen, dass sein Verband nur selten von Asylanträgen abrate. Im Gegenteil: „Wir nehmen im Moment wahr, dass die Jugendlichen häufig keinen Asylantrag stellen, auch wenn das sinnvoll wäre.“ Das führt er unter anderem auf Kapazitätsprobleme bei den Jugendämtern zurück, viele Vormünder könnten die UMF in Asylverfahren nicht begleiten.
⇒ Aus welchen Ländern kommen die UMF?
Was wir wissen:
Bekannt sind die Herkunftsländer bei Asylanträgen. Wie oben beschrieben stellen viele UMF aber keinen Antrag auf Asyl. Die meisten unbegleiteten minderjährigen Asylbewerber kamen 2015 laut BAMF aus Afghanistan (32,9 Prozent), Syrien (27,6 Prozent) sowie aus Eritrea und Irak (je 9,3 Prozent).
Was wir nicht wissen:
Die Herkunftsländer aller UMF, die eingereist ist. Es gibt nur Schätzungen: Der Bundesfachverband geht in einer Pressemitteilung von Januar 2016 davon aus, dass die meisten Jugendlichen und Kinder aus Afghanistan, Syrien, Irak, Eritrea und Somalia kamen. Das bestätigen Zahlen von Jugendämtern, die viele Minderjährige aufgenommen haben:
- Auf Anfrage des MEDIENDIENSTES teilt die Stadt Passau mit, dass 2015 rund 60 Prozent der Aufgenommenen Afghanen waren, 26 Prozent Syrer und sieben Prozent Iraker.
- Der "Landesbetrieb Erziehung und Beratung Hamburg" erklärt in einem Papier von März 2016, dass im vergangenen Jahr 40 Prozent der allein geflüchteten Minderjährigen aus Afghanistan, 24 Prozent aus dem "Nahen und Mittleren Osten" und 22 Prozent aus Eritrea und Somalia kamen.
⇒ Wie viele UMF gelten als vermisst?
Was wir wissen:
Immer wieder verschwinden geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der offiziellen Statistik. In einer Bundestagsdrucksache erklärt die Bundesregierung: Rund 5.800 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurden 2015 beim Bundeskriminalamt (BKA) als vermisst gemeldet.
Was wir nicht wissen:
Ob die Minderjährigen mehrfach registriert wurden, in ein anderes Land weiter gereist sind oder doch Opfer eines Verbrechens geworden sind. Zumindest ein Teil sei innerhalb Deutschlands weitergereist, vermuten Fachleute sowohl vom Bundesfachverband als auch vom Bundeskriminalamt und von Europol. Denn "unbegleitet" bedeutet nicht, dass die Kinder und Jugendlichen niemanden in Deutschland haben. Einige haben Verwandte oder Freunde, in deren Nähe sie leben möchten, erklärt Tobias Klaus vom "Bundesverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge".
Von Jenny Lindner
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