Beim Thema Kinderrechte sind Migranten und ihre Nachkommen nicht die Ersten, die einem in den Sinn kommen. Umso wichtiger ist es zu betonen: Auch ihnen stehen alle Rechte zu, die das „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ (kurz: Kinderrechtskonvention) der Vereinten Nationen jungen Menschen an allen Orten dieser Welt zusichert. Dazu gehören das Recht auf Überleben, auf Entwicklung, auf Nichtdiskriminierung, die Wahrung der Interessen der Kinder (Kindeswohl) und deren gesellschaftlicher Beteiligung. Das gilt unabhängig davon, ob sie sich in dem Land aufhalten, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzen, oder in einem anderen Staat, in dem ihre Eltern Arbeit suchen oder in das sie geflüchtet sind.
Am 20. November 1989 wurde die Kinderrechtskonvention von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Inzwischen haben 194 Staaten diesen völkerrechtlichen Vertrag ratifiziert. Dieser Schritt verlangt, dass die Bestimmungen des Vertrags in das Recht des jeweiligen Landes aufgenommen werden – nur dann tritt der Vertrag "in Kraft". Das heißt, der Staat verpflichtet sich, sich an die Bestimmungen der Konvention zu halten und man kann sich vor Gericht auf die dort festgelegten Rechte berufen. Ein wichtiger Schritt wäre, die Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen. Kinderrechtler fordern, dass sie auch im deutschen Grundgesetz verankert werden, um den Rechtsstatus des Kindes zu sichern und alle Gesetze und andere Regelungen daraufhin zu überprüfen, ob sie mit den Bestimmungen der Kinderrechtskonvention übereinstimmen.
Dr. LOTHAR KRAPPMANN ist Soziologe und Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin im Bereich Soziologie der Bildung. Von 2003 bis 2011 war er Mitglied des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes. Zudem hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB) in Berlin gearbeitet.
Ein unabhängiger Expertenausschuss der Vereinten Nationen überwacht die Einhaltung des Vertrags, mahnt die Regierungen bei Verstößen und veröffentlicht Empfehlungen. Allerdings haben die Vereinten Nationen kein Instrument, um dies verbindlich durchzusetzen. Eines der Hauptthemen des Ausschusses ist die Behandlung von Kindern außerhalb des Staats, aus dem sie oder ihre Eltern ursprünglich kommen. Denn in vielen Ländern erhalten diese Kinder nicht, was laut Konvention für alle ohne Unterschied gelten sollte: einen angemessenen Lebensstandard, Kleidung und Wohnung, Zugang zu Gesundheitsversorgung und insbesondere Unterstützung bei Bildung und Berufsausbildung. Bildung ist ein Schwerpunkt der Kinderrechte, weil sie die Handlungsmöglichkeiten der Menschen stärkt und ihre Fähigkeit, sich für ihre Rechte einzusetzen.
Mangelnder Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung
Selbstverständlich gelten die Kinderrechte auch für unbegleitete Flüchtlingskinder und Heranwachsende, die ohne Papiere ins Land gekommen sind. Ihnen "angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe" zu geben, haben die Staaten in einem eigenen Artikel festgehalten. Die Realität dieser Kinder sieht jedoch meist anders aus: Viele leben lange Zeit in lagerartigen Unterkünften und erhalten nur eingeschränkt gesundheitliche Versorgung. Sie haben Schwierigkeiten beim Zugang zu Schule und Berufsausbildung und leiden oft viele Jahre Unsicherheit, wo und wie ihr Leben weitergehen wird. Ihre Ängste und Bedrohungen werden nicht zur Kenntnis genommen, ihr Wohl und ihre Entwicklung nicht berücksichtigt. Das alles verstößt gegen die Konvention.
Einwandererfamilien mit Aufenthaltstiteln stehen ebenfalls oft vor großen Hürden, auch wenn diese je nach Herkunftsregion recht unterschiedlich ausfallen. Die bestehenden Möglichkeiten zur Entwicklung und Bildung ihrer Kinder können sie häufig nur eingeschränkt nutzen. Sozialforscher weisen auf die Benachteiligung vieler Familien und insbesondere von Kindern mit Migrationshintergrund hin, die sozial und ökonomisch oft schlechtere Ausgangsbedingungen haben.
Kindertagesstätten und Schulen haben es bisher bei weitem nicht geschafft, zu allen Kindern und Eltern ein von Anerkennung und Vertrauen getragenes Verhältnis aufzubauen. Die Konvention verlangt ausdrücklich, die Kinder an Entscheidungen zu beteiligen und gemeinsam mit den Eltern Bildungswege für sie zu erschließen. Das wäre Integration im Sinne einer Bildungspartnerschaft, die dann auch Basis für die Förderung der deutschen Sprache der Kinder sein könnte, die oft als erstes Hindernis der Integration genannt wird. Schulen beklagen die fehlenden Mittel, um individueller und intensiver auf Kinder und Eltern eingehen zu können, so wie es der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes fordert.
Aber das Problem wurzelt noch tiefer. Erschwert werden diese Anstrengungen durch massive Vorurteile, die bis zu institutionellen Diskriminierungen reichen. Die Ermittlungsfehler in der rassistischen Mordserie des „NSU" hat auf drastische Weise gezeigt, dass Deutschland allen Grund hat, das Diskriminierungsverbot der Menschenrechtsverträge der Vereinten Nationen und des Europarats mit größtem Nachdruck durchzusetzen. Es ist ein Grundpfeiler aller gelebten Menschenrechte.
Kinder sind häufig der Grund für Migration
Diskriminierung steht nicht nur Bildungs- und Berufschancen entgegen, sondern verhindert, mit Kindern aus Einwandererfamilien und ihren Eltern eine gemeinsame soziale Welt aufzubauen. Nachhaltige öffentliche Kampagnen, die diese Rechte auch für Kinder von Einwanderern und Flüchtlingen einfordern, wären wünschenswert, sind bisher aber ausgeblieben. Und das, obwohl mittlerweile fast jedes dritte Kind in Deutschland einen Migrationshintergrund hat. Dabei handelt es sich aber keineswegs mehrheitlich um neu Zugezogene: Rund 86 Prozent der jungen Menschen mit familiären Migrationsbezügen sind hier geboren, 75 Prozent haben einen deutschen Pass.Quelle
Als die Staaten der Welt die Kinderrechtskonvention beschlossen haben, deren 25-jähriges Jubiläum nun gefeiert wird, haben sie sich auferlegt, Gleichwürdigung, Gleichberechtigung und das Wohl aller Kinder zu verwirklichen. Es geht nicht nur um die Kinder in Deutschland, sondern in aller Welt, in der etwa 200 Millionen Erwachsene und 30 Millionen Heranwachsende von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent auf dem Weg sind und ankommen möchten. Und es werden Jahr für Jahr mehr. Als Gründe werden oft Armut, Verfolgung, Krieg und Arbeitslosigkeit genannt. Tatsächlich sind aber die Kinder selbst oft ein entscheidendender Grund für ihre Eltern. Sie wollen ihnen eine Zukunft in Sicherheit und mit der Chance ermöglichen, ihre Fähigkeiten entwickeln und Mitverantwortung übernehmen. Die Kinderrechtskonvention will sie dabei unterstützen. Das kann jedoch nur gelingen, wenn die Staaten sie konsequent und für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen umsetzen.
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.