Der aktuellen Studie haben die Wissenschaftler um Elmar Brähler und Oliver Decker den Titel "Die stabilisierte Mitte" gegeben. Denn im Vergleich zu den vorherigen Untersuchungen finden als rechtsextrem eingestufte Aussagen deutlich weniger Zustimmung. So ist der Anteil derjenigen, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild vertreten, zwischen 2002 und 2014 von 9,7 auf 5,6 Prozent gesunken.
Rund 2.400 Bundesbürger nahmen an der repräsentativen Befragung teil, die alle zwei Jahre durchgeführt wird. Die Grundlage bildet ein Fragebogen mit Aussagen, die die Forscher in sechs Kategorien einteilen: "Befürwortung einer Diktatur", "Ausländerfeindlichkeit", "Antisemitismus", "Sozialdarwinismus" ("Überlegenheit der Deutschen gegenüber anderen Völkern"), "Verharmlosung des Nationalsozialismus" und "Chauvinismus" (übersteigertes Nationalgefühl). Anhand einer fünfstufigen Skala von "lehne völlig ab" bis "stimme voll und ganz zu" werden die Ansichten der Befragten (rund 1.900 aus West- und rund 500 aus Ostdeutschland) dazu ermittelt.
"Rassismus" taucht nicht als eigene Kategorie auf und wird in der Studie auch nicht als Bezeichnung von Einstellungen verwendet. Einige Kategorien und die mit ihnen verbundenen Aussagen werden lediglich dem Komplex "Rechtsextremismus" zugeordnet. Dieser ist den Forschern zufolge besser als Überbegriff der hier abgefragten Phänomene geeignet, da er auch Einstellungen wie etwa die Befürwortung einer Diktatur oder die Verharmlosung Nazideutschlands umfasse, die nicht rassistisch begründet seien. Neben "Chauvinismus" und "Antisemitismus" taucht hier auch der Komplex "Ausländerfeindlichkeit" auf, ein Begriff, der umstritten ist, da er auch Deutsche mit Migrationshintergrund zu "Ausländern" macht und damit eine ausgrenzende Perspektive übernimmt. Diese "stereotypisierende Kennzeichnung" diene als Anreiz, um die entsprechenden Vorurteile abzufragen, so Oliver Decker.
Rassismus gegenüber Asylsuchenden, Muslimen, Sinti und Roma
Erstmals wurden in der "Mitte"-Studie 2014 auch die Einstellungen gegenüber Asylsuchenden, Sinti und Roma sowie zu Muslimen abgefragt. Allerdings getrennt von den Komplexen "Rechtsextremismus" und "Ausländerfeindlichkeit", so dass die Ergebnisse sich gegenseitig nicht beeinflussen. Während fast jeder fünfte Befragte pauschal gegen "Ausländer" gerichtete Ansichten aufwies, lag die Ablehnung gegenüber diesen Gruppen weit höher: Über 55 Prozent vertraten die Auffassung, die meisten Asylbewerber seien nicht wirklich in ihrem Heimatland verfolgt. Zum Vergleich: Wilhelm Heitmeyer und sein Team hatten 2011 in den "Deutschen Zuständen" noch 46,7 Prozent Zustimmung zu dieser Aussage gemessen. 55,9 Prozent stimmten der Aussage zu, Sinti und Roma neigten zur Kriminalität (2011 vertraten dies 44,2 Prozent). 36,6 Prozent meinten, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden (2011 stimmten dem 22,6 Prozent zu).
Eine Erklärung für den Rückgang "rechtsextremer" und "ausländerfeindlicher" Einstellungen und den gleichzeitigen Anstieg von gruppenbezogenem Rassismus sehen die Forscher in der wirtschaftlichen Entwicklung. Die ökonomische Lage Deutschlands ist stark. Die Krise in den südlichen Mitgliedsstaaten verdeutlicht das noch. Die Folge sei, dass nicht Migranten im Allgemeinen abgelehnt werden, so Oliver Decker bei der Vorstellung der Studie bei der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. "Viele Deutsche denken jetzt: die brauchen wir und die bringen uns was. Aber diejenigen, die im Verdacht stehen, keine eigene Leistung zum Wohlstand beizutragen, ziehen Wut auf sich und werden umso stärker abgewertet."
Vorurteile politisch angeheizt
Die Forscher sprechen von "sekundärem Autoritarismus": die Wirtschaft sei zu so etwas wie einer unhinterfragbaren Autorität geworden. Wenn sie stark ist, freuen sich die Menschen. Aber sie müssen sich ihr auch unterordnen und das produziere Aggressionen, die sich gegen "Andere" und "Schwächere" richte. Darüber hinaus betonen die Autoren, dass auch politische und mediale Debatten, die bestimmten Vorurteilen Vorschub leisten, eine wichtige Rolle spielten. Neben der Sarrazin-Debatte, in deren Folge islamfeindliche Einstellungen deutlich zunahmen, zählen hierzu etwa die Diskussion um "Armutsmigration" oder "Asylmissbrauch".
Timo Reinfrank, Koordinator der Amadeu Antonio Stiftung, forderte angesichts der Ergebnisse: "Die Einstellungsuntersuchung zeigt, wie stark rechtsextremes Gedankengut sich durch politische Stimmungsmache im Vorfeld des Europawahlkampfes entwickelt und ausdifferenziert hat." In besorgniserregenden Maße seien Vorurteile gegenüber Asylsuchenden, Muslimen, Sinti und Roma angestiegen. Die Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus müsse dies stärker bearbeiten, die Bundesprogramme des Familienministeriums entsprechend weiterentwickelt werden.
"Ausländerfeindlichkeit" nach wie vor weit verbreitet
"Wir freuen uns, gute Nachrichten hinsichtlich des Rückgangs rechtsextremer Einstellungen überbringen zu können, müssen aber auch Wasser in den Wein gießen", betonte Oliver Decker. Denn abgesehen von den stark angestiegenen Ablehnungswerten gegenüber den oben genannten Gruppen, erhalten rassistische Aussagen gegenüber "Ausländern" nach wie vor am meisten Zustimmung:Grafik: "Die stabilisierte Mitte", Universität Leipzig 2014, S. 44.
Deutliche Unterschiede zeigen sich den Ergebnissen zufolge nach wie vor zwischen Ost- und Westdeutschland. "Wo weniger Migrantinnen und Migranten leben ist die Ablehnung von 'Ausländern' stärker verbreitet", so Mitautor Elmar Brähler. Untersuchungen belegten schon lange, dass der Kontakt Vorurteile abbaue. Ähnliche Unterschiede traten beim "Chauvinismus" auf: rund 29 Prozent der Befragten in den neuen Bundesländern sind der Meinung, Deutschland solle sich endlich wieder Macht und Geltung verschaffen. In den alten Bundesländern trifft dies "nur" auf 19,5 Prozent zu.
Auch der Bildungsgrad beeinflusst offensichtlich die Einstellungen: Knapp 7 Prozent der Abiturienten stimmten "ausländerfeindlichen", knapp 5 Prozent "chauvinistischen" Aussagen zu. Bei den Befragten ohne Abitur lagen die Werte mit rund 21 und rund 16 Prozent deutlich höher.
Rechtsextreme Ansichten bei Anhängern aller Parteien
Die "Mitte"-Studie 2014 zeigt erneut, dass extreme Ansichten nicht nur am rechten Rand, sondern auch unter den Anhängern der großen Parteien zu finden sind. So lag die Zustimmung zu "ausländerfeindlichen" Aussagen mit 17,9 Prozent unter SPD-Wählern sogar leicht höher als bei Wählern der CDU/CSU (17,1 Prozent). "Die stärkste Zustimmung zu ausländerfeindlichen, antisemitischen und chauvinistischen Ansichten weisen neben den Wählern rechtsextremer Parteien jedoch die der AfD auf", so Brähler. Rund 29 Prozent der AfD-Wähler teilten "chauvinistische" Einstellungen, 50 Prozent stimmten "ausländerfeindlichen" und 13,5 Prozent "antisemitischen" Aussagen zu.
Von Rana Göroğlu, MDI
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