Am 27. Juni 2024 tritt die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts in Kraft. Dadurch erhalten mehr Menschen Anspruch auf eine Einbürgerung. Die Antrags- und Einbürgerungszahlen werden nach der Gesetzesänderung voraussichtlich stark ansteigen, da mehr Personen die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllen werden.
Wie eine Umfrage des MEDIENDIENSTES unter den 50 bevölkerungsstärksten Städten Deutschlands zeigt, wurden bereits in den vergangenen Jahren in vielen Städten deutlich mehr Anträge auf Einbürgerung gestellt. In den 45 Städten, aus denen Antragszahlen vorliegen, wurden 2023 insgesamt rund 126.000 Anträge auf Einbürgerung gestellt. Das sind 19 Prozent mehr als 2022 (rund 106.000) und mehr als doppelt so viele wie noch 2020 (rund 60.000). Die meisten Einbürgerungsanträge wurden in Berlin, Hamburg und München gestellt. In Berlin sind 2024 bereits mehr als 16.000 Online-Anträge eingegangen, so ein Sprecher des Landesamtes für Einwanderung (LEA).
Besonders stark angestiegen sind die Antragszahlen in
- Mülheim an der Ruhr (+125 Prozent),
- Mönchengladbach (+94 Prozent)
- und Lübeck (+87 Prozent).
Auch bei den Einbürgerungszahlen gab es in vielen Städten Zuwachs: In Bochum hat sich die Zahl der Einbürgerungen 2023 beinahe vervierfacht, in Mönchengladbach, Potsdam und Magdeburg ist sie mehr als doppelt so hoch wie 2022.
Nationalität: Syrer*innen machten in nahezu allen Städten, die Daten dazu geliefert haben, die größte Gruppe unter den Antragsstellenden aus. Der Irak steht an zweiter Stelle der Herkunftsstaaten, an dritter Stelle die Türkei. Weitere wichtige Gruppen waren im Jahr 2023 Personen aus dem Iran und Afghanistan.
Alle Zahlen zu Einbürgerungen und Anträgen in den befragten Städten gibt es hier >>> TABELLEN zum Herunterladen.
Der Antragsberg wächst
Mehr als 204.000 Anträge sind aktuell in 42 Städten in Bearbeitung – das sind mehr als alle Einbürgerungen 2023 in Deutschland zusammengenommen. Dazu kommen Einbürgerungsinteressierte, die auf einen Termin bei den zuständigen Behörden warten und die in den Antragszahlen noch nicht erfasst sind. In Berlin hat das Landesamt für Einwanderung zu Beginn des Jahres ca. 40.000 offene Fälle von den zuvor zuständigen Bezirksverwaltungen übernommen, in Hamburg warten aktuell rund 25.600 Personen darauf, dass ihr Einbürgerungsantrag bearbeitet wird und in München sind es knapp 17.600.
Die Bearbeitungszeit von Einbürgerungsanträgen variiert stark je nach Stadt und Fall – den Angaben der befragten Städte zufolge kann sie zwischen 3 und 36 Monaten liegen. Als Gründe für die lange Bearbeitungszeit nennen die Städte den zunehmenden Bearbeitungsstau, Unvollständigkeit der eingereichten Unterlagen und die Mitwirkung anderer Behörden. Beispielsweise müssen in Niedersachsen alle irakischen Identitätsdokumente beim Landeskriminalamt überprüft werden.
Fast alle befragten Städte geben an, dass das Interesse für Einbürgerungen im Zusammenhang mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts stark gestiegen ist. Das zeigt sich sowohl durch höhere Antragszahlen als auch durch vermehrte Nachfrage bei Beratungsangeboten. Die Städte Frankfurt und Freiburg rechnen damit, dass sich die Zahl der Einbürgerungsanträge nach Inkrafttreten der Reform mehr als verdoppeln wird. In Köln hat sich die Nachfrage bei Beratungsangeboten bereits in den ersten Monaten dieses Jahres verdoppelt.
Tarik Tabbara, Professor für Öffentliches Recht an der HWR Berlin und Sachverständiger zur Gesetzesreform, schätzt die Vorbereitungen des Bundes als nicht ausreichend ein: "Es ist ja absehbar und gewollt, dass die Antragszahlen hochgehen. Wie man die Abläufe und die Manpower in den Einbürgerungsbehörden organisiert, das wäre parallel vorzubereiten und zu unterstützen gewesen, auch wenn das nicht direkt in die Zuständigkeit des Bundes fällt." Auch ob die Länder und die Kommunen die Umsetzung der Reform schon ausreichend vorbereitet hätten, sei fraglich.
Als wichtigste Maßnahmen, um den Antragsberg abzubauen, nennen fast alle befragten Städte Fortschritte im Bereich Digitalisierung. Dazu gehören die Einführung der E-Akte und der digitalen Antragstellung. Online-Informationsangebote und "Quick-Checks", um die Voraussetzungen zu prüfen, gibt es etwa in Kassel, Berlin, Braunschweig und Freiburg. Muna Naddaf, Bundesprojektleiterin des Beratungsnetzwerks „Pass[t] Genau!“ betont, dass durch eine gemeinsame Vorbereitung der Anträge mit den Antragsstellenden die Verfahren deutlich verkürzt werden können. Auch das zuständige Personal wurde in fast allen befragten Städten aufgestockt. In Bochum und Bonn wurde die Zahl der Stellen in kürzester Zeit verfünffacht.
Höhere Einbürgerungsquoten in neuen Bundesländern
Eingebürgert wurden im Jahr 2023 bundesweit 200.095 Personen – das sind 19 Prozent mehr als im Vorjahr und ein neuer Höchstwert seit der Jahrtausendwende.Quelle
Zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede, wie viele Menschen eingebürgert werden. Das "ausgeschöpfte Einbürgerungspotenzial" gibt an, wie groß der Anteil der Einbürgerungen an der ausländischen Bevölkerung ist, die schon sehr lange in Deutschland lebt. 2023 war der Anteil in Bremen mit 8 Prozent am höchsten, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern (7,6 Prozent) und Sachsen-Anhalt (7,4 Prozent). Bundesweit lag die Einbürgerungsquote mit 3,6 Prozent im vergangenen Jahr auf dem höchsten Stand seit 2002.Quelle
2023 ließen sich vor allem Menschen aus Syrien, der Türkei und dem Irak in Deutschland einbürgern. Im Vergleich zum Vorjahr haben Einbürgerungen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan jeweils um mehr als die Hälfte zugenommen, während weniger Personen aus der Türkei eingebürgert wurden als noch 2022. Mit der Reform wird erwartet, dass sich deutlich mehr türkische Staatsbürger*innen einbürgern lassen, da sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten können.Quelle
Von Stefanie Bahr und Sophie Thieme
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.