Viele Hochschulen engagieren sich bereits jetzt sehr für die Aufnahme von Schutzsuchenden. Vielerorts gibt es Sprachkurse und Mentoring-Programme. Auch die Politik hat reagiert, zum Beispiel indem die Wartezeiten für den Bezug von BAföG verkürzt wurden. Dennoch sind Studierende mit Fluchterfahrung nach wie vor mit vielen Hürden konfrontiert. Das zeigt eine Analyse, die ein Team des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) durchgeführt hat. Dazu wurde die internationale Forschung zu Hochschulen und Geflüchteten ausgewertet. Die Untersuchung zeigt, Geflüchtete Studierende stehen in Deutschland ähnlichen Herausforderungen gegenüber wie in anderen Ländern. Das zeigt sich unter anderem an:
- dem asyl- und aufenthaltsrechtlichen Status,
- der sozioökonomischen Lage,
- der Anerkennung von Abschlüssen und Kompetenzen,
- Sprachbarrieren,
- besonderen Beratungsbedarfen im Hinblick auf das fremde Hochschulsystem und erfahrene Traumata sowie an
- Diskriminierungserfahrungen.
Viele Probleme resultieren daraus, dass sich die Bildungsbiographien der Geflüchteten über einen langen Zeitraum und verschiedene Bildungssysteme erstrecken. Fluchtbiographien dauern vom Herkunftsland über mehrere Zwischenstationen bis in ein Zielland oft Jahre. Dadurch sind Geflüchtete mit ganz anderen Brüchen ihrer (Bildungs-)Biographie konfrontiert als andere internationale Studierende, die sich bewusst für ein Studium in Deutschland entscheiden und sich in ihrem Herkunftsland darauf vorbereiten können. Dennoch werden Geflüchtete vielfach lediglich als Untergruppe der internationalen Studierenden gefasst.
Prof. Dr. JULIA VON BLUMENTHAL ist Professorin für Innenpolitik der BRD an der Humboldt-Universität Berlin. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Flucht: Forschung und Transfer“ des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück und des Bonn International Center for Conversion (BICC) hat sie zusammen mit Laura Lambert und Steffen Beigang die internationale Forschung zu "Flüchtlingen und Hochschule" analysiert. Foto: Ralph Bergel
Im deutschen Bildungssystem erweist sich insbesondere die starke Fokussierung auf formale Bildungsabschlüsse als eine Hürde. Kompetenzen, die nicht zertifiziert sind, werden häufig nicht anerkannt. Dabei gibt es bereits heute gute Ansätze, die ausgebaut werden könnten. Die Kultusministerkonferenz (KMK) bietet das Portal anabin an. Die Datenbank enthält Informationen, welche ausländischen Abschlüsse mit denen in Deutschland vergleichbar sind. Es wäre ein wichtiger Schritt, diese Ansätze weiterzuentwickeln, um auch Studienleistungen leichter anerkennen zu können, etwa einzelne bestandene Module im Studium.
Eine interessante Perspektive für Bildungsbiographien, die sich über verschiedene Länder erstrecken, stellen Online-Angebote dar. Ein bekanntes Beispiel ist das Projekt Kiron, das mit einer Reihe von deutschen Hochschulen kooperiert. Ziel des Projekts ist es, dass Geflüchtete virtuell ein Studium aufnehmen und sich Leistungen anrechnen lassen, sobald sie an einer Hochschule eingeschrieben sind. Bei der Weiterentwicklung solcher Angebote sollten jedoch auch die kritischen Ergebnisse der Forschung berücksichtigt werden. So ist die Abbrecherquote bei online-Kursen häufig hoch. Das muss aber nicht unbedingt gegen das Konzept sprechen, da manche Nutzer vielleicht nur einzelne Kompetenzen erwerben wollen und die Kurse deshalb nicht beenden.
Generell rücken mit der Integration von Geflüchteten in das deutsche Bildungssystem Fragen in den Mittelpunkt, die auch andere Studierende betreffen: Wie kann die Beratung für Studieninteressierte verbessert werden? Und wie gelingt ein möglichst guter Übergang von der Hochschule in den Arbeitsmarkt?
Die Integration von Geflüchteten an Hochschulen rückt zugleich die Frage nach Diskriminierung stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Hochschulen verstehen sich als Orte der Toleranz und der Weltoffenheit. Gleichwohl sind sie nicht frei von Benachteiligungen. Dabei geht es um den Umgang zum einen von Lehrenden mit Lernenden und zum anderen zwischen Lernenden untereinander. Zudem geht es um strukturelle Diskriminierung, die sich in Verwaltungspraktiken ausdrückt. Mithilfe von Beratungsstellen und Beauftragten innerhalb der Hochschule und durch die kritische Reflexion des eigenen Handelns können Hochschulen ihrem Ideal, frei von Diskriminierung zu sein, näherkommen.
Insgesamt stellt die Aufnahme von Geflüchteten eine gesellschaftliche Aufgabe von Hochschulen dar, der sie sich in Deutschland aktiv stellen. Dies ist Teil der Kernaufgabe Lehre, denn letztlich geht es um eine zusätzliche Studierendengruppe mit spezifischen Bedürfnissen. Die Aufnahme von Geflüchteten bietet auch Chancen für eine weitergehende innere Reform der Hochschulen in Deutschland.
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