MEDIENDIENST: Sie werden dafür kritisiert, die Ergebnisse der Mitte-Studie einseitig zu interpretieren und Menschen vorschnell Rechtspopulismus vorzuwerfen - was sagen Sie dazu?
Wir stellen Menschen nicht in die rechte Ecke, sondern berichten von unseren Ergebnissen über Einstellungen, die in der Bevölkerung mehr oder weniger verbreitet sind. In unserer Studie wird niemand durch eine einzelne Aussage als rechtspopulistisch eingeordnet. Das geschieht nur, wenn die Person einer ganzen Reihe von Aussagen zustimmt. Aus der Befragung ergibt sich ein zwiegespaltenes Bild: Die große Mehrheit der Befragten befürwortet die Demokratie und sorgt sich darum, dass Rechtspopulismus um sich greift. Das ist die positive Botschaft, die wir auch hervorgehoben haben. Gleichzeitig vertritt ein nicht unerheblicher Teil der Befragten rechtspopulistische und antidemokratische Einstellungen. Das sind teilweise dieselben Personen, die sich für Demokratie und Vielfalt aussprechen. Die Mitte der Gesellschaft ist in Teilen unsicher darüber, was eigentlich demokratisch ist.
Kritisiert wurde auch, wie Sie die Einstellung gegenüber asylsuchenden Menschen erheben. Wie lässt sich über die Aussage "Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein" darauf schließen, dass Menschen Asylsuchende abwerten oder nicht?
Wir betrachten nie nur eine einzelne Aussage, sondern sehen sie immer im Zusammenhang mit anderen Antworten, die wir gesammelt haben. Die Ablehnung dieser Aussage erscheint zunächst unproblematisch. Jedoch muss man schauen, welche weiteren Einstellungen die Befragten vertreten. Ganz sicher lehnen nicht alle Befragten die Aussage aus einer fremdenfeindlichen Motivation heraus ab. Es sind aber zugleich nicht wenige Befragte, die diese Aussage ablehnen und dann auch fremdenfeindlichen, rassistischen oder antisemitischen Positionen zustimmen. In den Jahren zuvor hatten wir weitere Fragen zu Asylsuchenden gestellt und da zeigte sich: Wer diese Aussage ablehnt, stimmt eher Fragen zu, die deutlich problematischer sind. Wir haben diese Aussage aus einem Katalog von Fragen ausgewählt, da sie das Konzept - hier die Abwertung Asylsuchender - im Gegensatz zu anderen Aussagen am besten widerspiegelt.
Wie treffen Sie die Auswahl Ihrer Fragen?
Die meisten Fragen wurden von anderen Studien entwickelt, die Einstellungen untersuchen. Wir haben viele Fragen analysiert und diejenigen ausgewählt, bei denen wir uns möglichst sicher sein können, dass Personen bei anderen Fragen zum Thema ähnliche Antworten geben. Das können auch Fragen sein, die auf den ersten Blick keine eindeutige Zuordnung zulassen, wie es bei denjenigen zur Abwertung Asylsuchender der Fall ist. Diese haben wir aber - wie alle Fragen - vorher getestet und statistisch abgesichert. Die telefonische Befragung einer Person kann nicht länger als eine halbe Stunde dauern, deswegen müssen wir eine Auswahl treffen.
Prof. Dr. BEATE KÜPPER ist Sozialpsychologin und Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen an der Hochschule Niederrhein. Sie forscht zu den Themen Rechtspopulismus, Vorurteilen und Diskriminierung. Seit 2014 gehört sie zu den Autorinnen und Autoren der Mitte-Studie.
Sie stellen seit Jahren die gleichen Fragen. Die Realität ändert sich aber. Kritiker weisen darauf hin, dass die Schutzquote in den letzten Jahren gesunken ist. Müssten Sie dann zum Beispiel die Aussage "Die meisten Asylbewerber werden in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt" nicht anpassen?
Ob wir einzelne Aussagen ändern oder beibehalten, ist immer eine Abwägungssache. Da wir eine Langzeitstudie durchführen und Entwicklungen nachzeichnen wollen, müssen wir möglichst immer die gleichen Fragen stellen. Bei den zwei genannten Fragen zu Asylsuchenden sehen wir, dass die Zeit darüber hinweg gegangen ist. Es wäre gut gewesen, wenn wir noch weitere Fragen zum Thema gestellt hätten, um die Antworten auch in diesem Jahr stärker abzusichern. Im Jahr 2016 haben wir das noch getan und mehr Fragen zur Einstellung gegenüber Geflüchteten gestellt. Da wir nur eine begrenzte Anzahl an Fragen stellen können, haben wir dieses Jahr bei dem Thema gespart und Fragen zu Verschwörungsmythen und Demokratievorstellungen eingebaut. Das war unser Fehler. Wir dachten, dass es weniger Interesse für das Thema gäbe. Interessant ist jedoch, dass wir die Fragen seit vielen Jahren stellen und sie nie kritisiert wurden. Daran merkt man auch, dass sich die Zeiten geändert haben und Menschen es weniger problematisch finden, einer solchen Aussage zuzustimmen.
Der Anteil der Befragten, die sie als klar rechtspopulistisch einstufen, hat sich seit 2014 kaum geändert. Wie schließen Sie dann aus den Ergebnissen, dass sich der Rechtspopulismus in der Gesellschaft verfestigt und normalisiert?
Von 2014 auf 2016 konnten wir eine Polarisierung in der Gesellschaft beobachten: Eine nicht kleine Minderheit hatte klar antidemokratische Einstellungen, eine Mehrheit hat sich aber deutlich für Demokratie und Vielfalt ausgesprochen. Viele Menschen waren unter anderem durch die Wahlerfolge der AfD aufgewacht. 2018/2019 sehen wir nun, dass mehr Menschen eher teils-teils-Antworten wählen. Auch ein Teil derer, die sich vorher klar demokratisch geäußert haben, sind jetzt unsicher geworden. Sie fragen sich, ob rechtspopulistische Aussagen nicht doch ihre Berechtigung haben. Zudem haben rechtspopulistische Einstellungen im Vergleich zu 2016 zwar nicht mehr Zustimmung erhalten, die Zustimmungswerte sind jedoch auch nicht zurückgegangen. Junge Menschen sind häufiger bereit, rechtspopulistischen und klar antidemokratischen Haltungen zuzustimmen. Zwar positionieren sich die meisten jungen Menschen sehr demokratisch, es gibt aber einen kleinen Teil, der den Nationalsozialismus verharmlost und sozialdarwinistischen Aussagen zustimmt. Dieser Teil hat zugenommen und die Älteren überholt. Aus diesen Gründen sagen wir, dass diese Einstellungen normaler geworden sind. Die Befunde der Studie können die Gesellschaft zur Selbstreflektion anregen – Demokratie ist nie einfach da, sondern muss beständig erneuert werden.
Interview: Andrea Pürckhauer
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