Mehrere Studien haben zuletzt untersucht, was Menschen in Deutschland über Flüchtlingen denken. Eine Untersuchung im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland fragte nach der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung untersuchte Meinungen zur „Aufnahmefähigkeit“ beziehungsweise „Belastbarkeit“ Deutschlands. Und die "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung beschäftigte sich unter anderem mit der Frage, welche Sorgen die Bevölkerung mit der Flüchtlingsmigration verbindet.
Die Untersuchungen zeigen Einstellungen, die auf den ersten Blick widersprüchlich scheinen. Auf der einen Seite befürwortet jeweils etwa die Hälfte der Befragten eine Begrenzung der Flüchtlingszuwanderung oder sieht Deutschland an einer "Belastungsgrenze" angekommen. Zudem haben viele Angst vor negativen Auswirkungen der Flüchtlingsmigration. Laut der EKD-Untersuchung äußerten mehr als 60 Prozent der Befragten Sorge vor steigender Kriminalität.
Auf der anderen Seite zeigen die Studien: Eine überwiegende Mehrheit der Befragten sieht Deutschland nach wie vor in der Pflicht, schutzbedürftige Menschen aufzunehmen. 85 Prozent waren laut EKD-Umfrage der Meinung, dass Deutschland „Menschen in existenzieller Not“ zur Seite stehen muss. In der „Mitte“-Studie stimmten 86 Prozent der Aussage zu: „Menschen, die vor Kriegen flüchten, sollten in Deutschland aufgenommen werden“. Sowohl die EKD- als auch die Mitte-Studie zeigen, dass die positiven Einstellungen gegenüber Flüchtlingen seit dem Sommer 2015 weitgehend stabil sind.
"Man darf Besorgnis nicht mit Ablehnung verwechseln"
Der Politikwissenschaftler Dietrich Thränhardt sieht darin aber nicht zwangsläufig einen Widerspruch: "Menschen können gleichzeitig solidarisch sein und sich eine strengere Kontrolle der Einwanderung wünschen. Denn man darf nicht Besorgnis mit Ablehnung verwechseln. Man muss den Menschen zugestehen, dass sie gleichzeitig besorgt und hilfsbereit sein können.“
Die Umfragewerte müssten daher differenziert gesehen werden: „Nicht nur sind die Meinungen zum Thema Flucht und Migration in der Bevölkerung vielfältiger und nuancierter, als man gemeinhin denken würde“, sagt Thränhardt. „Sie haben sich auch im Laufe der vergangenen Jahre verändert. Die Menschen haben sich intensiver mit Themen wie Zuwanderung und Integration auseinandergesetzt. Ihre Ansichten sind dadurch komplexer und differenzierter geworden.“
Zu diesem Schluss kommt auch eine neue Untersuchung des Marktforschung-Instituts „Ipsos Mori“ im Auftrag der drei internationalen Nichtregierungsorganisationen "Purpose", "Social Change Initiative" und "Human Dignity Foundation". Für die Studie befragten die Meinungsforscher 2.000 Menschen zu ihren Einstellungen über Migration.
Die Wissenschaftler konnten die Befragten in fünf – fast gleichgroße – Gruppen einteilen:
- Liberale Weltbürger (22 Prozent der Befragten)
- Wirtschaftliche Pragmatisten (20 Prozent)
- Humanitäre Skeptiker (23 Prozent)
- Gemäßigte Gegner (18 Prozent)
- Radikale Gegner (17 Prozent)
Mitglieder der einzelnen Gruppen – so die Forscher – teilen in der Regel nicht nur Einstellungen, sondern auch sozialstrukturelle Merkmale wie etwa Bildungsstand, Wohnort, Alter und Einkommensniveau. „Weltbürger“ und „Radikale Gegner“ befinden sich an zwei Enden des Spektrums: Die einen sind tendenziell junge, gebildete Stadtbewohner mit gutem Einkommen, die eine inklusive und offene Einwanderungspolitik befürworten. Die anderen sind 40 Jahre oder älter, haben ein niedriges Bildungsniveau und leben vor allem auf dem Land – meistens in den Neuen Bundesländern. Für sie sind Einwanderer eher eine "Bedrohung" für die Sicherheit und eine "Belastung" für die Sozialsysteme.
Es gibt kein eindeutiges „Pro“ und „Kontra“
In den anderen Gruppen sind die Meinungen deutlich nuancierter. Die „Gemäßigten Gegner“ etwa lehnen zwar grundsätzlich Einwanderung ab, glauben jedoch, dass qualifizierte Einwanderer einen positiven Effekt auf die Wirtschaft haben können. Einzigartig für Deutschland ist laut der Studien-Autoren die Gruppe der „Humanitären Skeptiker“: Dabei handelt es sich überwiegend um Rentner mit einem hohen Bildungsniveau aus Westdeutschland. Geprägt von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs glauben Mitglieder dieser Gruppe daran, dass Deutschland verpflichtet ist, Schutzsuchende aufzunehmen. Gleichzeitig zweifeln sie aber an der "Integrationsfähigkeit" der Einwanderer.
Auch der Soziologe und Politikwissenschaftler Marc Helbling, der die Studie verfasst hat, plädiert deshalb für einen differenzierten Blick auf die öffentliche Meinung: „Unsere Studie hat ergeben, dass eine Person gleichzeitig für die humanitäre Aufnahme von Schutzbedürftigen sein kann und trotzdem strenge Einwanderungsregeln fordert. Es gibt auch Menschen, die den Mehrwert von Einwanderern für die Wirtschaft erkennen und sich trotzdem Sorgen über die kulturelle Identität der Gesellschaft machen.“
In der öffentlichen Debatte seien vor allem die "Weltbürger" und "Radikalen Gegner" präsent, sagt Helbling. „Dazwischen liegt eine große Mitte, die keine Eindeutige 'Pro'- oder 'Kontra'-Haltung hat, sondern eine Vielzahl von Meinungen, die sehr stark von den Umständen abhängig sind.“
Von Fabio Ghelli
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