Jugendliche "mit mehreren Staatsangehörigkeiten", mutmaßlicher Mittäter "ist Italiener" – viele Medien berichten über die Herkunft der jungen Männer, die Anfang Dezember einen 49-jährigen Mann in Augsburg tödlich verletzt haben sollen.
Ist es wichtig, in Berichten über Straftaten die Nationalität und Herkunft von Tatverdächtigen zu erwähnen? Was spricht für, was gegen eine Nennung? Und wie gehen Pressestellen der Polizei mit dem Thema um? Darüber diskutierten Fachleute bei einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES in Berlin:
Prof. Dr. Thomas Hestermann, Hochschule Macromedia:
"Unsere Untersuchungen zeigen: 2019 verweist jeder dritte Fernsehbeitrag und fast jeder zweite Zeitungsbeitrag über Gewaltkriminalität auf die Herkunft der Tatverdächtigen. Die Herkunft wird aber meist nur dann genannt, wenn die mutmaßlichen Täter Ausländer sind. Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2018 kommen zwei deutsche Tatverdächtige auf einen Ausländer. Im Fernsehen ist das Verhältnis 1:8, in Zeitungsberichten 1:14. So entsteht ein Zerrbild – und das kann niemandem egal sein, der eine umfassende, wahrheitsgetreue Berichterstattung will."
Heinrich Maria Löbbers, Sächsische Zeitung:
"Wir haben uns 2016 nach sehr langer und intensiver Diskussion entschieden, die Nationalität von Straftätern immer zu nennen – und zwar unabhängig davon, ob es Deutsche sind oder nicht. Es geht uns darum, eben kein verzerrtes Bild zu zeigen, sondern Spekulationen entgegenzuwirken. Denn gerade bei uns in Dresden gibt es nach Straftaten viele Gerüchte, die Tatverdächtige seien Ausländer gewesen. Wir gehen davon aus, dass wir einen Freiraum für solche Gerüchte schaffen, wenn wir die Herkunft nicht nennen."
Konstantina Vassiliou-Enz, Neue deutsche Medienmacher*innen:
"Natürlich kann es Gründe geben, die Herkunft von Tatverdächtigen zu nennen – zum Beispiel, wenn es um Organisierte Kriminalität in Grenzregionen geht oder wenn eine Frau eine Bank überfällt, weil sie die Überführung ihres Mannes in sein Herkunftsland bezahlen will. Das sind aber echte Ausnahmefälle. Wir empfehlen, die Herkunft von Tatverdächtigen nur dann zu erwähnen, wenn im Bericht erklärt wird, warum sie für die Tat wichtig ist. Zudem sollten wir uns immer fragen: Würden wir die Herkunft auch nennen, wenn die Tatverdächtigen Deutsche sind? Sprechen wir beispielsweise von bayerisch-katholischen Steuerhinterziehern? Oder von ostdeutsch-atheistischen Trickbetrügern? Tun wir nicht. Also warum dann in anderen Fällen?"
Thilo Cablitz, Polizei Berlin:
"Wir nennen die Herkunft von Tatverdächtigen nur dann, wenn sie für das Verständnis einer Tat erforderlich ist – also beispielsweise das Motiv mitbegründet. Als Polizei müssen wir damit aber verantwortungsbewusst umgehen. Tatverdächtige heißen nicht umsonst Tatverdächtige: Es kann sein, dass wir jemanden festgenommen haben, der es gar nicht war. Geben wir Details über die Person preis, stigmatisieren wir sie, stigmatisieren wir vielleicht eine ganze Nationalität."
Video-Statement von Prof. Dr. Thomas Hestermann
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Prof. Dr. Thomas Hestermann, Hochschule Macromedia / Kontakt
Heinrich Maria Löbbers, Sächsische Zeitung / Kontakt
Konstantina Vassiliou-Enz, Neue deutsche Medienmacher*innen / Kontakt
Thilo Cablitz, Polizei Berlin / Kontakt
Von Jennifer Pross
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