Laut Umfragen könnten rechtspopulistische Parteien bei der Europawahl so viele Sitze ergattern wie nie zuvor. Fachleute befürchten, dass sie damit wichtige Beschlüsse im Europäischen Parlament blockieren könnten – auch in der Migrations- und Asylpolitik.
Doch schon heute ist der Einfluss von Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten deutlich spürbar. Vor allem auf nationaler, aber auch auf europäischer Ebene ist es rechtspopulistischen Parteien gelungen, migrationspolitische Debatten und Entscheidungen zu prägen. Wie konnte das passieren? Und welche Rolle kommt dabei den anderen Parteien zu? Im Gespräch mit dem MEDIENDIENST geben Expertinnen und Experten Beispiele aus Italien, Deutschland und Schweden.
Alexander Häusler, Sozialwissenschaftler an der Hochschule Düsseldorf
=> Rechtspopulistische Parteien haben dazu beigetragen, dass sich die EU von einer gemeinsamen Asylpolitik entfernt hat.
Vor etwa vier Jahren wurde in der EU diskutiert, wie eine faire und humane Aufnahme von Flüchtlingen aussehen könnte. Heute hört man kaum noch davon. Stattdessen konzentrieren sich die meisten europäischen Regierungen auf die Frage: "Wie können wir vermeiden, dass Flüchtlinge zu uns kommen?" Diese Entwicklung ist zweifelsohne mit dem Aufstieg rechtspopulistischer Parteien verbunden. Ihr Einfluss auf die Migrationspolitik hat stark zugenommen, seitdem sie in einigen Ländern an Regierungskoalitionen beteiligt sind. In Italien etwa startete der amtierende Innenminister Matteo Salvini und Vorsitzende der rechtspopulistischen "Lega" eine Kampagne gegen zivile Seenotrettung im Mittelmeer. Er bekam Unterstützung von vielen EU-Mitgliedstaaten und die Kampagne hat mit dazu beigetragen, dass die Zahl der Seenotrettungs-Einheiten im Mittelmeer zurückgegangen ist. Gleichzeitig ist der Anteil der Menschen gestiegen, die bei der Überfahrt über das Mittelmeer ums Leben gekommen sind. Zudem hat Italien – zusammen mit anderen Ländern, in denen Rechtspopulisten in der Regierung sitzen – die EU dazu bewegt, ihre Investitionen in Afrika und im Nahen Osten auszubauen, um Migrantinnen und Migranten fernzuhalten. Das hat unter anderem dazu geführt, dass die EU mehr Geld in libysche Haftlager gesteckt hat, in denen heftige Menschenrechtsverletzungen stattfinden.
Dr. Oliviero Angeli, Politikwissenschaftler an der Universität Dresden
⇒ Selbst wenn sie nicht an der Macht sind, können Rechtspopulisten Einfluss auf migrationspolitische Entscheidungen haben.
Wenn es um Migration geht, schüren Rechtspopulisten in der Regel Ängste und Sorgen in der Bevölkerung. Den regierenden Parteien werfen sie dann vor, nicht auf diese Ängste und Sorgen einzugehen. Dabei schlagen die Regierungsparteien oft einen deutlich härteren Kurs in der Flüchtlingspolitik ein, weil sie befürchten, Wählerstimmen an rechtspopulistische Parteien zu verlieren. Dies gilt auch für die Große Koalition in Deutschland, die nach 2015 eine Reihe von überwiegend restriktiv ausgerichteten Maßnahmen im Bereich des Aufenthalts- und Asylrechts ergriffen hat. Auch in Ländern wie Schweden haben Regierungen einen strengeren Kurs eingeschlagen. Als Wahlkampfstrategie hat sich dieser Rechtsschwenk in der Flüchtlingspolitik selten positiv auf die Zustimmungsrate der Regierungsparteien ausgewirkt: Die regierende sozialdemokratische Partei Schwedens etwa verzeichnete bei der jüngsten Parlamentswahl 2018 das schlechteste Ergebnis der Nachkriegszeit.
Prof. Kristina Boréus, Politikwissenschaftlerin an der Universität Uppsala, Schweden
⇒ Der Einfluss von Rechtspopulisten kann zu einer 180-Grad Wende in der Einwanderungs- und Asylpolitik beitragen.
Schweden war früher für seine liberale und humane Migrations- und Asylpolitik bekannt: 2014 bot das Land allen syrischen Kriegsflüchtlingen die Möglichkeit, einen permanenten Aufenthaltstitel zu erhalten. Das hat sich vor drei Jahren schlagartig geändert. Im Juni 2016 beschloss das schwedische Parlament ein Gesetzespaket, das eine noch nie dagewesene Reihe von Verschärfungen im Asylrecht beinhaltete. Anerkannte Flüchtlinge bekommen seitdem nur einen befristeten Aufenthaltstitel. Subsidiär Schutzberechtigte dürfen ihre Ehepartnerinnen und Ehepartner sowie Kinder nicht mehr nachziehen lassen. Solche Verschärfungen hatten die rechtspopulistischen "Schwedendemokraten" schon lange gefordert. Dabei schürten sie die Angst vor einer unkontrollierten Zuwanderung. Zwar begründete die Regierung den neuen Kurs mit dem unerwarteten Anstieg der Flüchtlingszahlen. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Reformen ohne den wachsenden Einfluss der Rechtspopulisten nicht so drastisch gewesen wären.
Kontakte
Alexander Häusler, Arbeitsstelle Neonazismus – Hochschule Düsseldorf / Kontakt
Dr. Oliviero Angeli, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte – TU Dresden / Kontakt
Prof. Kristina Boréus, Institute for Housing and Urban Research – Universität Uppsala / Kontakt
Von Fabio Ghelli
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