Der Alltag in Flüchtlingsunterkünften war vor der Krise schon nicht einfach – durch das Corona-Virus wird er zusätzlich erschwert. Vielerorts standen oder stehen ganze Unterkünfte unter Quarantäne. Das wirkt sich auch auf die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe aus. Die Ehrenamtlichen können nicht mehr in die Unterkünfte kommen, um die Geflüchteten zu unterstützen – sei es etwa bei der Wohnungssuche oder bei gesundheitlichen und rechtlichen Fragen. Und Geflüchtete können nicht mehr Beratungsstellen außerhalb der Unterkünfte aufsuchen.
Wie hat sich das Angebot der Initiativen durch die Pandemie verändert? Vor welchen Problemen und Herausforderungen stehen sie? Und welche Lösungen und Alternativen haben sie bereits gefunden? Der MEDIENDIENST hat mit Vertreter*innen von vier Initiativen gesprochen.
Ein Großteil des Angebots der Initiativen basiert auf persönlichen Begegnungen zwischen Geflüchteten und Ehrenamtlichen. Dieser Teil der Arbeit kann zurzeit gar nicht oder nur eingeschränkt stattfinden. Bei der „Refugee Law Clinic“ in Berlin, die Rechtsberatung für Geflüchtete anbietet, können zum Beispiel von fünfzehn lokalen Beratungsteams gerade nur drei ihre Arbeit fortsetzen, so Sebastian Pukrop, Mitglied bei der Refugee Law Clinic. Die Berliner Initiative „Medizin hilft“ bietet medizinische und psychotherapeutische Versorgung und Sozialberatung für Menschen ohne Zugang zur Gesundheitsversorgung. Ihre offene Sprechstunde ist eine niedrigschwellige Anlaufstelle – jede und jeder kann einfach vorbeikommen. Jetzt mussten sie die offenen Sprechstunden beenden und können Geflüchtete nur noch beraten, wenn sie einen Termin haben. „Das macht die Hürde für Geflüchtete natürlich größer“, sagt Dorothea Herlemann, die Geschäftsführerin der Initiative. Auch das Team von „Zusammenleben Willkommen“ musste einen Teil seiner Arbeit einstellen. Normalerweise vermitteln sie Zimmer und helfen Geflüchteten bei der Wohnungssuche. Mareike Geiling, Mitarbeiterin von „Zusammenleben Willkommen“, erzählt: „Die Zimmer-Vermittlung läuft normal weiter. Aber unsere Bildungsarbeit und die Beratungsangebote finden leider nicht statt wie sonst.“
Wie klappt die Umstellung auf Online-Angebote?
Die meisten Initiativen konnten einen Teil ihrer Arbeit ins Netz verlegen – das hat Vor- und Nachteile. „Start with a Friend“ etwa macht damit gute Erfahrungen. Die Initiative vermittelt eins-zu-eins Tandems zwischen Geflüchteten und Einwander*innen mit Menschen von hier. Diese Tandems treffen sich jetzt online. Damit sind sie auch flexibler und lassen sich einfacher in den Alltag integrieren, so die Geschäftsführerin Teresa Rodenfels.
Bei „Medizin hilft“ wurden die Sozialberatungen auf Telefonate und Videochats umgestellt. Das hat aber Nachteile, erzählt Herlemann. Auch wenn die Qualität der Beratungen weiterhin hoch ist, sind sie jetzt manchmal kürzer und weniger ausführlich. Dabei merken sie: „Telefonate können persönliche Begegnungen nicht ersetzen.“ Die Ehrenamtlichen der „Refugee Law Clinic“ erleben das ähnlich. Seit sich die Geflüchteten per E-Mail melden müssen, erhalten sie weniger Anfragen für Rechtsberatungen, so Sebastian Pukrop.
Wie erleben Geflüchtete die Situation?
Durch die Corona-Pandemie sind Geflüchtete gerade besonders auf die Unterstützung von Ehrenamtlichen angewiesen. Zum Beispiel bei rechtlichen Fragen zu den Quarantäne-Maßnahmen oder für Übersetzungen von medizinischen Informationen. Deshalb bräuchte es jetzt eigentlich mehr Angebote und nicht weniger, sagt Sunny Omwenyeke vom Bremen Solidarity Center, das sich für die Interessen von Geflüchteten einsetzt. Es mangele an einem grundsätzlichen Verständnis für die Situation von Geflüchteten. Die Corona-Krise zeige nun unter dem Brennglas, was auch zuvor schon schiefgelaufen ist: „Überall heißt es, man soll Abstand halten und Hygienevorschriften einhalten. Aber in Sammelunterkünften müssen die Menschen auf engstem Raum leben.“
Dazu gibt es in Sammelunterkünften oft kein gutes WLAN, kritisiert Seán McGinley vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Da viele Angebote der Flüchtlingshilfe nun online stattfinden, wäre dies aber umso notwendiger. „Das Angebot der Initiativen ist eine wichtige Sache, die jetzt eine Lücke im Alltag der Geflüchteten hinterlässt.“ Menschen außerhalb der Einrichtungen zu treffen, fehle vielen Geflüchteten, so McGinley.
Die Corona-Krise sorgt für viele Veränderungen – auch bei den Initiativen für Geflüchtete. „Die Krise zwingt uns, Konzepte grundsätzlich zu überdenken und das erleben wir als positiv“, sagt Mareike Geiling von „Zusammenleben Willkommen“. Dorothea Herlemann von „Medizin hilft“ freut sich über das große Engagement der ehrenamtlichen Ärzt*innen: „Einige von ihnen sind schon in Rente und gehören aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe – trotzdem machen sie weiter.“ Und Teresa Rodenfels von „Start with a Friend“ betont: „Wir wollen Menschen zusammenbringen – egal wie. Dass das auch online funktioniert, freut uns sehr.“
Von Annabell Lauble
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