In den letzten zweieinhalb Jahren sind zahlreiche neue und kreative Initiativen entstanden, die Geflüchtete unterstützen. Im ersten Teil unseres Forschungsprojektes „So schaffen wir das“ haben wir die Struktur und die Potentiale der Flüchtlingsinitiativen anhand von 90 Projekten untersucht. Im zweiten Teil des Projektes geht es nun darum, Bilanz zu ziehen. Wir sprachen mit Initiativen und fragten sie: Welche Erfolge hatten die Projekte zu verzeichnen? Welchen Herausforderungen mussten sie sich stellen? Welche Empfehlungen gibt es für andere Projekte? Unser Ziel war es, Handlungsempfehlungen für andere Initiativen abzuleiten.
Welche Faktoren machen den Erfolg von Initiativen aus?
Die gute Zusammenarbeit mit den Behörden erwies sich in vielen Fällen als entscheidend. In Hamburg etwa konnten Flüchtlingsinitiativen in Kooperation mit der Stadt erfolgreich eine Informationsplattform für Geflüchtete aufbauen. Städte sind die Schnittstelle zwischen Bürgern und Staat und verfügen über Kapazitäten, mit denen Projekte gestärkt werden können. In diesem Fall war der Kontakt zur Stadt für den Informationsaustausch unerlässlich.
Prof. Dr. WERNER SCHIFFAUER ist Senior Scholar am Lehrstuhl für Vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Er forscht zum Thema Islam und Muslime in Deutschland und ist Mitglied des Rats für Migration (RfM). Kürzlich hat er zwei Studien zu Flüchtlingsprojekten in Deutschland veröffentlicht.
Was alles möglich ist, wenn der politische Wille vorhanden ist, lässt sich an Projekten ablesen, bei denen die Behörden flexibel agierten und so bürokratische Hürden überwunden wurden. Dies war bei der Unterbringung von LSBT*I*-Geflüchteten in Berlin der Fall, wo die Behörden ein besonderes Schutzbedürfnis von Geflüchteten anerkannten. Durch die Zusammenarbeit mit den Behörden hatten die Initiativen Raum, den individuellen Bedürfnissen der Geflüchteten Rechnung zu tragen.
Für das Gelingen von Projekten ist es zudem wichtig, „Win-win-Situationen“ herzustellen. Im brandenburgischen Golzow ermöglichte die Aufnahme zweier geflüchteter Familien, die lokale Schule zu erhalten. Die Aufnahme kam somit der ganzen Gemeinde zugute und wurde dort größtenteils positiv wahrgenommen. Zugleich konnten bestehende lokale Strukturen weiter genutzt werden. Aus ähnlichen Gründen wird gegenwärtig überlegt, ob geflüchtete Ärzte zur Bekämpfung des Ärztemangels im ländlichen Raum beitragen können. Über solche „Win-win-Situationen“ können Initiativen breite und auch langfristige Unterstützung finden. Zudem kann verhindert werden, dass sich einzelne Gruppen benachteiligt fühlen und Projekte gegeneinander aufgerechnet werden.
Welche Herausforderungen sind zu bewältigen?
Neben Erfolgen berichteten Projekte auch von Faktoren, die ihr Gelingen erschwerten. Ein hohes Aufgabenpensum überlastete und überforderte viele Ehrenamtliche. Dazu tragen auch ein hoher Erwartungsdruck und Anfeindungen aus Teilen der Gesellschaft bei. Um die Unterstützungsarbeit langfristig gewährleisten zu können, benötigen die Initiativen Begleitung und Entlastung. Auch die Vernetzung mit anderen Projekten, Institutionen und Dachverbänden ist wichtig, um mehr Unterstützung zu organisieren und die Sichtbarkeit der Projekte in der Öffentlichkeit zu erhöhen.
Der Anspruch, dass alle Beteiligten gleichberechtigt in die Projekte mit einbezogen werden, ist eine zusätzliche Herausforderung. Unterschiedliche soziale und finanzielle Ausgangslagen zwischen Engagierten und Geflüchteten und verschiedene Bedürfnisse können zu Konflikten führen. Eine wichtige Rolle kommt hier Migrantenorganisationen zu. Sie können aufgrund eigener Erfahrungen, interkultureller Kompetenz und Sprachkenntnissen zwischen den Akteuren vermitteln. Auch stellt unser Forschungsprojekt mehrere kulturelle Projekte vor, deren Ziel es ist, voneinander zu lernen. Gerade Kunstprojekte tragen dazu bei, neue Perspektiven aufzuzeigen.
Ein weiteres Problem ist die fehlende finanzielle Förderung. Wenn überhaupt, werden Initiativen bisher nur über zeitlich begrenzte Projektförderungen finanziert. Damit können sie nur ihre Kernaufgaben abdecken. Wenn der Förderzeitraum abgelaufen ist, erhalten erfolgreiche Projekte oft keine Anschlussfinanzierung. So entsteht der Druck, neue Projektideen für die Förderung einzureichen, auch wenn ein altes Projekt gute Ergebnisse erzielte. Deshalb braucht es eine neue Förderpolitik. Diese sollte mehr strukturelle Förderung bereitstellen und so die Kontinuität von Projekten gewährleisten. Eine Strukturförderung könnte auch dazu beitragen, das Ehrenamt zu entlasten.
Die Errungenschaften der Bewegung verteidigen
Die Untersuchung der Projekte verdeutlichte auch, dass sich das Selbstverständnis der Zivilgesellschaft verändert hat. Zum „klassischen“ Ehrenamt kamen politische Aktivisten und Menschen, die ihre beruflichen Kenntnisse einbrachten, wie etwa Juristen. Migrantenorganisationen trugen Wissen über Kultur und Sprache bei. Über die gemeinsame Arbeit und die geteilte Herausforderung entstand ein neues „Wir“. Diese Bewegung entwickelte ein Selbstbewusstsein gegenüber staatlichen Institutionen. Sie setzt sich für eine zukunftsfähige Politik ein und richtet sich gegen Abschottung und Ausgrenzung.
Die öffentliche Meinung wird derzeit von populistischen Forderungen bestimmt. Gerade deswegen müssen die Errungenschaften der vergangenen Jahre verteidigt werden. Der Wunsch, politische Äußerungen mehr an die Öffentlichkeit zu tragen, wird von vielen Initiativen geäußert. Prominente Signale kommen in dieser Hinsicht aus Bayern: Hier gibt es erste Versuche, ein breites Bündnis („Bündnis für Vielfalt und Menschlichkeit“) aufzustellen, um Widerstand zu mobilisieren gegen die Versuche der bayerischen Staatsregierung, eine restriktive Flüchtlingspolitik durchzusetzen, die der Integration von Geflüchteten schadet.
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