Eine Untersuchung der "Hamburg Media School" hat nachgewiesen, dass die Berichterstattung über Flüchtlinge stark zugenommen hat. Wissenschaftler haben dazu 34.000 Pressebeiträge aus den Jahren 2009 bis 2015 ausgewertet. Das Ergebnis: Im Jahr 2015 erschienen 19.000 Beiträge zum Thema Flüchtlinge, 4.000 mehr als in den vergangenen sechs Jahren zusammen. Manche Medien hätten bis zu sieben Beiträge am Tag über die Flüchtlingskrise veröffentlicht, ergab die Studie, die von der Otto Brenner Stiftung der IG Metall gefördert wurde.
Demnach haben vier von fünf Beiträgen in den Medien eher positiv darüber berichtet, dass Deutschland Flüchtlinge aufnimmt. Zwölf Prozent der Beiträge seien eher neutral gewesen. Sechs Prozent hätten auch über mögliche Probleme der Flüchtlingspolitik wie die Überforderung der Behörden berichtet. Hierbei handelt es sich jedoch um erste Zwischenergebnisse, die endgültige Auswertung läuft noch. Sicher ist, dass die Medien mit vielen Hintergrundberichten beispielsweise zu den Fluchtursachen einen Beitrag dazu geleistet haben, Vorurteile abzubauen.
PROF. DR. KARL-HEINZ MEIER-BRAUN, Mitglied im "Rat für Migration", langjähriger Redaktionsleiter und Integrationsbeauftragter des Südwestrundfunks (SWR), ist Honorarprofessor an der Universität Tübingen. Demnächst erscheinen die dritten aktualisierten Auflagen seines Sammelbandes "Deutschland Einwanderungsland" sowie seines Taschenbuches "Einwanderung und Asyl. Die 101 wichtigsten Fragen."
Eine Studie der "Cardiff School of Journalism" vergleicht, wie die europäische Presse über die Flüchtlingskrise berichtet. Als Datengrundlage dienten 1.500 Artikel aus dem Zeitraum zwischen Juni 2014 und April 2015 in Spanien, Italien, Großbritannien, Deutschland und Schweden. Die Studie zeigt: Die Boulevard-Presse in Großbritannien zeichnet ein Zerrbild der Wirklichkeit und schürt Ressentiments. Die schwedische Presse fällt dagegen durch ihre deutlich wohlwollende und positive Berichterstattung auf.
Welche Kritik gibt es an Medien?
Kritisch mit der Rolle der Medien in der Flüchtlingsdebatte setzt sich Friederike Herrmann, Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, in einem Aufsatz auseinander. Ihrer Meinung nach hätten die Medien sehr früh den Eindruck einer Überforderung erweckt, obwohl sie dies möglicherweise gar nicht wollten. Grund dafür seien "Narrative" – Erzählungsmuster – , die im Zusammenspiel zwischen Medien und Politik entstünden und den öffentlichen Diskurs beherrschten. Ein Beispiel dafür sei die Auseinandersetzung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer.
Auf der anderen Seite mussten sich Journalisten die Frage gefallen lassen, ob sie nicht einseitig und zu positiv berichtet hätten. Auf einer Tagung der Akademie für Politische Bildung in Tutzing wurde der "Willkommensjournalismus" kritisiert. Die Angst, den Rechtsextremisten in die Hände zu spielen, dürfe nicht zur Selbstzensur führen.
Wie wirkt sich Berichterstattung auf Politik aus?
Eine frühere Untersuchung zeigt, wie in Spanien, Frankreich und der Schweiz sogenannte Illegale mit Unterstützung der Medien ein kollektives Bleiberecht erkämpfen konnten. Tageszeitungen – so das Ergebnis der Untersuchung – fungierten in allen drei Ländern als Unterstützer der Legalisierungsbewegungen. Der zentrale Beitrag der Medien zum Erfolg der Bewegungen bestand darin, dass sie einen eigenen, veränderten Diskurs zur irregulären Migration in Bewegung setzten. Sie bewirkten damit einen Perspektivenwechsel in der öffentlichen Wahrnehmung: "illegale" Migranten wurden nicht länger als anonyme Gruppe und als Herausforderung für die nationale Sicherheitspolitik gesehen, sondern als Individuen und gleichzeitig als Opfer verfehlter staatlicher Einwanderungspolitik. Die Medien appellierten an die jeweiligen Regierungen, ihnen ein Aufenthaltsrecht zu gewähren.
Was sind die Herausforderungen der aktuellen Berichterstattung? Wichtig wäre jetzt, eine beunruhigte und verunsicherte Bevölkerung mit Daten und Fakten zu versorgen und der Polemik der "Lügenpresse" Einhalt zu gebieten. Tabuisierungen darf es nicht geben. Zudem sollten Flüchtlinge und ihre Schicksale selbst viel stärker in die Berichterstattung einbezogen werden. Auch sind aktuelle Studien zu "Medien und Flüchtlingen" dringend notwendig. Nachdem etwas Ruhe in die teilweise hektische Debatte und Berichterstattung eingekehrt ist, bietet sich die Chance für Medienmacher, grundsätzlich über die Art und Weise nachzudenken, wie sie mit einem Thema umgehen, das so sehr mit Emotionen besetzt ist und bei dem sie eine besondere Verantwortung tragen.
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