Bislang war nur wenig darüber bekannt, wie Flüchtlinge Medien nutzen. Forscher vom "Institut für Publizistik" der Freien Universität Berlin haben deshalb eine umfassende Befragung unter Geflüchteten durchgeführt. Für die repräsentative Studie wurden über 400 Schutzsuchende aus Syrien, dem Irak und zentralasiatischen Ländern (Pakistan, Afghanistan, Iran und Indien) interviewt.
Die wichtigsten Ergebnisse haben die Autoren Carola Richter, Martin Emmer und Marlene Kunst vorab in einer EXPERTISE für den MEDIENDIENST zusammengefasst. Die Gesamtstudie wird in der nächsten Woche veröffentlicht.
Fast alle Flüchtlinge nutzen das Internet
Über 80 Prozent der Befragten gaben an, während der Flucht zumindest gelegentlich das Internet genutzt zu haben. Im Vordergrund stand dabei der Kontakt mit Bekannten und Verwandten – und weniger die Suche nach Informationen. Das zeigt auch ein Blick auf die genutzten Apps und sozialen Medien: Am beliebtesten waren Messaging-Systeme wie WhatsApp, Viber oder Facebook. Andere Plattformen wie Twitter, Instagram oder YouTube spielten dagegen praktisch keine Rolle.
Informationen auf Internetseiten schenken Flüchtlinge eher selten Glauben. Nur etwa die Hälfte der Befragten, die das Internet vor und während der Flucht nutzten, haben konkret nach Informationen zu Deutschland gesucht oder Dienste wie Google Maps in Anspruch genommen.
Beeinflussen Medien die Entscheidung zur Flucht?
Im Fokus der Studie stand die Frage, ob Medien einen Einfluss auf die Fluchtentscheidung haben. Die Umfrage liefert hier zunächst ein eindeutiges Ergebnis: Die überwiegende Mehrheit der Befragten hat ihre Heimatländer aus Not verlassen – etwa, weil vor Ort Krieg herrschte, sie ihre Existenz bedroht sahen oder aber aus Angst vor politischer Verfolgung.
Medien haben jedoch durchaus einen Einfluss darauf, welches Bild Flüchtlinge von Deutschland haben. Viele Befragte hatten vor ihrer Flucht Gerüchte und Halbwahrheiten über Deutschland gehört. So gaben rund 90 Prozent der Syrer und Iraker an, davon gehört zu haben, dass sie in Deutschland ein eigenes Haus bekommen, kostenlos Sozialleistungen beziehen und ihre gesamte Familie nachholen könnten.
Realistischere Bilder vom Leben in Deutschland scheinen Flüchtlinge über persönliche Kontakte zu erhalten. Mehr als ein Drittel der Befragten hatte bereits im Herkunftsland Kontakt zu Personen in Deutschland. Rund die Hälfte von ihnen fühlte sich durch diese zur Flucht ermuntert. Demgegenüber gaben 30 Prozent der befragten Syrer an, dass ihnen von der Flucht nach Deutschland abgeraten worden sei.
Interessant ist auch: Das berühmte "Selfie", das ein Flüchtling im Herbst 2015 mit Bundeskanzlerin Angela Merkel aufnahm, ist unter Flüchtlingen deutlich weniger bekannt als oft angenommen. Nur etwa ein Drittel der befragten Syrer gab an, das Foto vor ihrer Einreise gesehen zu haben. Bei Irakern und Flüchtlingen aus Zentralasien war der Anteil noch kleiner. In öffentlichen Debatten war immer wieder zu hören, das Foto habe sehr viele Menschen dazu motiviert, nach Deutschland zu fliehen. Die Studie widerspricht dieser Annahme.
Was folgt daraus für die Integrationsarbeit?
In der Expertise geben die Wissenschaftler auch Empfehlungen für die Integrationsarbeit mit Geflüchteten:
- Politik und Zivilgesellschaft sollten Informationen und Angebote online und in den jeweiligen Landessprachen zur Verfügung stellen, um möglichst viele Flüchtlinge zu erreichen.
- Auch traditionelle Massenmedien sollten ihr Angebot auf muttersprachliche Artikel und Sendungen ausweiten. Da Flüchtlinge eine hohe Affinität zum Fernsehen haben, seien hier insbesondere TV-Sender gefragt.
- Geflüchtete sollten aktiv in die Medienproduktion einbezogen werden. Viele von ihnen bringen Medienkompetenzen mit, die für den Aufbau neuer Formate und Plattformen genutzt werden könnten.
Von Jennifer Pross
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