Anfang des Jahres sorgte die WDR-Sendung "Die letzte Instanz" für einen Aufschrei: Darin regten sich mehrere Prominente darüber auf, dass man das "Z-Wort" nicht mehr sagen dürfe. Betroffene waren nicht eingeladen. Die Sendung ist nicht der einzige antiziganistische Vorfall in den Medien. Vor Kurzem stellte ein Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA) fest, dass Medien immer wieder uralte antiziganistische Stereotype reproduzieren.Quelle
Der MEDIENDIENST hat mit Fachleuten darüber gesprochen, worauf Journalist*innen achten können, wenn sie Antiziganismus vermeiden wollen.
1. Nennung der Gruppenzugehörigkeit hinterfragen
Andrea Wierich von der Rom*nja-Selbstorganisation Amaro Foro e.V. leitet ein Modellprojekt, das Medienschaffende zu Antiziganismus sensibilisieren will. Sie beobachtet, dass bei Berichten über Rom*nja die Gruppenzugehörigkeit oft genannt wird. In einem Artikel über den Görlitzer Park in Berlin hieß es beispielsweise, dort würden "Obdachlose und Rom*nja campieren".
Wierich sagt: "Diese Erwähnung macht nur vor dem Hintergrund des Klischees Sinn, dass Rom*nja ein Wandervolk seien. Die Idee ist weiterhin in den Köpfen vieler Menschen verankert. Dabei haben über 90 Prozent der Rom*nja in Europa einen festen Wohnsitz." Um das Klischee nicht weiter zu reproduzieren, rät Wierich dazu, sich zu fragen: Macht der Satz auch Sinn, wenn man das Wort "Rom*nja" mit einer anderen Gruppe ersetzt, beispielsweise "Handwerker*innen" oder "Engländer*innen"? Generell sollte man mit der Nennung der Gruppenzugehörigkeit zurückhaltender umgehen.
Hinzu kommt laut Wierich, dass "Rom*nja" und "Sinti*zze" Selbstbezeichnungen sind: "Eigentlich müssten Journalist*innen Betroffene fragen, ob sie sich überhaupt als Rom*nja identifizieren. Dadurch ließe sich verhindern, dass in Medienberichten Phänomene wie Armut und Kriminalität pauschal mit der Gruppe in Verbindung gebracht werden."
2. Diskriminierungen berücksichtigen
Antiziganistische Bilder kommen häufig in Berichten über sogenannte Problem- oder Schrottimmobilien vor. Wierich sagt: "Die Verantwortung für die den Zustand der Wohnungen werde oft Rom*nja zugeschoben. Dabei fehlt meist eine Einordnung, warum Rom*nja oder dafür gehaltene Menschen teilweise in prekären Verhältnissen leben müssen." Oft hänge ihre Situation mit Diskriminierungen zusammen, die sie auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt, im Bildungsbereich und bei Behörden erleben.Quelle
Wierich empfiehlt, sich folgende Fragen zu stellen: Wer ist verantwortlich für den verwahrlosten Zustand eines Wohnhauses? Wer sind die Vermieter*innen und weshalb unternehmen sie nichts gegen die schlechten Zustände? Oder: Warum hat das Bezirksamt nicht gehandelt?
3. Rom*nja als Protagonist*innen befragen
Der Politikwissenschaftler Markus End hat an dem UAK-Bericht sowie an weiteren Studien zu Antiziganismus in den Medien mitgewirkt. Er beobachtet, dass die Perspektive von Betroffenen selten erwähnt wird. So würden bei Berichten über Nachbarschaftskonflikte oft nur nicht-Rom*nja als Anwohner*innen befragt. Er wünscht sich, dass Betroffene selbst häufiger zu Wort kommen.
4. Andere Bilder nutzen
Ein weiteres Problem sind Bilderdatenbanken. End sagt: "Die gängigen Bilderdatenbanken führen fast nur stark stereotypisierende Bilder." Positive Beispiele gebe es wenige. Zu ihnen gehöre ein Bild einer Demonstration von Rom*nja, das seit Jahren immer wieder verwendet wird.
Amaro Foro entwickelt im Rahmen seines Medienprojekts eine eigene Bilderdatenbank, die Redaktionen bei der Bildauswahl unterstützen will. Der Verein berät auch Redaktionen und bietet Workshops an.
Markus End betont, es sei wichtig anzuerkennen, dass Antiziganismus auch in Redaktionen auftritt, da er gesellschaftlich so tief verankert ist. "Journalist*innen und Redaktionen müssen sich bewusst anstrengen, wenn sie antiziganistischen Rassismus nicht reproduzieren wollen." Selbst ein gut gemeintes Porträt über eine*n erfolgreiche*n Rom*nja könne problematisch sein. Und zwar wenn es nur vor dem Hintergrund des Klischees funktioniert, dass Rom*nja in der Regel eben doch bildungsfern, nicht erfolgreich oder rückschrittlich seien.
Von Martha Otwinowski
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