Die Bundesregierung plant derzeit mehrere Verschärfungen im Asylrecht. In Kürze soll das Kabinett das sogenannte "Asylpaket II" verabschieden. Laut Medienberichten sieht es unter anderem vor, dass Flüchtlinge schneller zurückgeschickt werden können. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn sie gegen ihre Mitwirkungspflichten im Asylverfahren verstoßen haben. Der Verdacht, seine Reisedokumente vernichtet zu haben, ist so ein möglicher Verstoß.
Immer wieder wird die Annahme geäußert, dass viele Asylsuchende ihre Papiere mutwillig zerstören oder zurückhalten, um Asylverfahren in die Länge zu ziehen oder eine mögliche Abschiebung zu erschweren. Aber was weiß man eigentlich über die Flüchtlinge, die ohne Papiere einreisen?
Zunächst einmal weiß man allein über ihre schiere Anzahl nur sehr wenig. Denn: Keine Behörde erfasst systematisch die Zahl der Flüchtlinge ohne Papiere – weder die europäische Grenzschutzagentur Frontex, noch die deutschen Polizeibehörden oder das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Das bestätigen Anfragen des MEDIENDIENSTES INTEGRATION:
- Europäische Grenzagentur Frontex: Eine Sprecherin bestätigt gegenüber dem MEDIENDIENST, dass die Agentur nicht erfasst, wie viele Flüchtlinge ohne Dokumente an den EU-Außengrenzen ankommen. Ihrer Einschätzung nach sei es jedoch "die große Mehrheit".
- Bundespolizei: Dem Schengener Grenzkodex zufolge darf man ohne gültige Reisedokumente eigentlich nicht nach Deutschland einreisen. Derzeit lässt die Bundespolizei Personen dennoch einreisen, wenn sie in Deutschland um Asyl bitten. Sie registriert die Nationalität der Ankommenden beziehungweise erfragt sie, wenn sie keine Dokumente bei sich haben. Wie oft das der Fall ist, wird allerdings nicht erfasst, so ein Sprecher der Behörde gegenüber dem MEDIENDIENST.
- Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Auch das für Asylanträge zuständige BAMF erfasst nicht, wie viele Menschen einen Asylantrag stellen, ohne Ausweispapiere oder andere Dokumente vorzulegen. Das bestätigt die Behörde auf Nachfrage des MEDIENDIENSTES. Generelle Aussagen seien schwierig: Für Syrer gibt es zum Beispiel eine Schätzung des BAMF, wonach bis zu 80 Prozent der Antragssteller Dokumente einbringen können. Bei Zweifeln an der Herkunft muss der Asylbewerber während des Asylverfahrens eine sogenannte "Screening-Befragung" absolvieren, in der Sprache und Hintergrundwissen überprüft werden.
Eine Studie des Europäischen Migrationsnetzwerks hat vor zwei Jahren gezeigt: Die Identitätsfeststellung von Asylbewerbern wird in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich gehandhabt. In Deutschland seien viele Behörden an der Erfassung von Daten von Schutzsuchenden beteiligt, so Prof. Franck Düvell, der am Compas-Institut der Universität Oxford zu Migration und Grenzpolitik forscht. Doch diese Daten würden nicht gebündelt und zentralisiert. Das sei eine "bürokratische Nachlässigkeit" und müsse dringend refomiert werden, weil Politik und Öffentlichkeit Informationen darüber benötigten.
Ein Schritt in diese Richtung ist der "Ankunftsnachweis" für Flüchtlinge, der ab Februar vom BAMF ausgegeben wird. Dieser "Ausweis" für Asylsuchende soll die wesentlichen Daten von Flüchtlingen enthalten, wie Name, Geburtsdatum, Geburtsort, aber auch Fingerabdruck- und Gesundheitsdaten. Darauf können künftig die Behörden zugreifen, die am Asylverfahren beteiligt sind.
Wenn Flüchtlinge keine Dokumente besitzen, kann das vielfältige Gründe haben, sagt die Grenzforscherin Prof. Dr. Sabine Hess von der Universität Göttingen. In vielen Ländern gebe es keine Ausweispflicht oder man müsse erst in die nächste Großstadt, um Dokumente zu bekommen. Bei einer Flucht müsse man aber oft zuerst einmal sein Leben in Sicherheit bringen. Diese Einschätzung teilt auch der Migrationsforscher Franck Düvell. Und ergänzt: Auch Schlepper und Schwarzmarkthändler hätten ein großes Interesse an Pässen und anderen Ausweisdokumenten. Manche Flüchtlinge würden sie verkaufen, um ihre Flucht finanzieren zu können.
Von Carsten Janke und Fabio Ghelli
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