Das Thema Clankriminalität ist sehr präsent in den Medien. Zugleich ist wenig aus dem Innenleben der Großfamilien bekannt. Bei einem Pressegespräch des MEDIENDIENSTES berichteten drei Forscher*innen, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse es zum Phänomen gibt.
Die zentralen wissenschaftlichen Erkenntnisse hat Dr. Mahmoud Jaraba in einer Expertise für den MEDIENDIENST zusammengefasst (hier).
REFERENT*INNEN
Dr. Mahmoud Jaraba ist Politikwissenschaftler. Er forscht seit Jahren zu den als "Clans" bezeichneten arabisch-türkischen und kurdischen Großfamilien in Deutschland. Jaraba nahm jahrelang am Alltag von Angehörigen der Großfamilien teil und führte Interviews mit Familienangehörigen, Polizei und Sozialarbeiter*innen. Seine Erkenntnisse hat er in einer Expertise für den MEDIENDIENST zusammengefasst.
Alexander Werner ist Kriminaloberkommissar. Er arbeitet in der kriminalistisch-kriminologischen Forschungsstelle des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen unter anderem zum Thema „Clankriminalität“. Er ist außerdem Lehrbeauftragter für Kriminologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen.
Dr. Daniela Hunold ist Kriminologin. Sie unterrichtet an der deutschen Hochschule der Polizei und forscht zu den Themen Polizei und Kriminalität in der Einwanderungsgesellschaft. Sie publizierte außerdem anderem zum Thema „Clankriminalität“ (etwa in: Brauer/ Dangelmaier, Tamara/ Hunold (2019): Die diskursive Konstruktion von Clankriminalität).
STATEMENTS DER REFERENT*INNEN (AUSZÜGE)
Dr. Mahmoud Jaraba – Politikwissenschaftler
In meiner mehrjährigen Forschung zum Thema habe ich drei wichtigen Erkenntnisse gewinnen können. Erstens: Die Angehörigen dieser sogenannten Großfamilien haben in der Regel schlechte Erfahrungen mit dem Staat gemacht – sowohl in der Türkei und im Libanon als auch in Deutschland. Obwohl sie seit mehreren Generationen in Deutschland sind, haben noch viele von ihnen keinen festen Aufenthaltsstatus.
Zweitens: Großfamilien sind keine homogene Gruppe. Angehörige einer "Großfamilie" kennen sich oftmals gegenseitig gar nicht. Viele jüngere Familienangehörige in der 2. oder 3. Generation wollen ausdrücklich von der Großfamilie unabhängig sein. Das bedeutet auch, dass es keine Clan-Chefs geben kann, die Angehörige zu Verbrechen anstiften.
Drittens: Nur wenige Familienangehörige sind tatsächlich straffällig. Und wenn sie kriminell sind, dann nicht innerhalb einer Großfamilien-Struktur, sondern eher als Individuen oder höchsten innerhalb der Kernfamilie.
Alexander Werner – Kriminaloberkommissar
Es gibt keine einheitliche Definition von sogenannter Clankriminalität. Das hat zur Folge, dass in den Länderpolizeien ein relativ uneinheitliches Verständnis von diesem Phänomen besteht. Allerdings laufen gerade Prozesse zur Abstimmung einer bundesweit einheitlichen Definition, um dem Abhilfe zu leisten. Zur Clankriminalität werden sehr unterschiedliche Delikte gezählt: Von Verkehrsdelikten über Körperverletzung bis hin zu Betrug und Organisierte Kriminalität.
Viele Angehörige dieser Großfamilien durften jahrelang nicht arbeiten, weil sie in Deutschland geduldet waren. Heute dürfen sie arbeiten, erleben aber aufgrund ihres Nachnamens Diskriminerung auf dem Arbeitsmarkt. Insofern ist es fast verwunderlich, dass nicht noch mehr Menschen aus den "Großfamilien" straffällig geworden sind.
Dr. Daniela Hunold – Kriminologin
Mitte 2018 ist das Thema "Clankriminalität" plötzlich in den Medien sehr präsent geworden. In den Berichterstattung wurde häufig vermittelt, dass ein sehr hohes Gefährdungspotenzial von sogenannten Clanangehörigen ausgehe. Daraufhin haben sowohl die Politik als auch die Polizei das Thema stärker aufgegriffen. Damit hat der Diskurs um Clankriminalität einen sehr hohen Handlungsdruck produziert.
Die Polizistinnen und Polizisten, die wir im Rahmen unserer Forschungsarbeit begleitet und interviewt haben, sahen dieses Gefährdungspotenzial überhaupt nicht in der Form. Clankriminalität hat im polizeilichen Alltag so gut wie keine Rolle gespielt.
QUELLEN
- Dr. Mahmoud Jaraba (2021): Arabische Großfamilien und die "Clankriminalität"
- Kai Seidensticker, Alexander Werner (2020): Clankriminalität als neu entdeckte Herausforderung in einer dynamischen Gesellschaft
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