Rund jeder zehnte Abgeordnete im neuen Parlament hat einen Migrationshintergrund (11,6 Prozent). Damit liegt die Repräsentation von Migrant*innen im Bundestag deutlich unter ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung – wie eine Recherche des Mediendienstes zeigt.
Rechtsruck trägt zu Repräsentationslücke bei
In Anbetracht dieser Repräsentationslücke sei durchaus noch "Luft nach oben", sagt Andreas Wüst, Politikwissenschaftler an der Hochschule München. Es gibt wenige Abgeordnete mit Migrationshintergrund in Parteien rechts der Mitte, das zeigen die Ergebnisse der Mediendienst-Recherche.
Während bei CDU/CSU und AfD rund 6 Prozent der Abgeordneten einen Migrationshintergrund haben, sind es bei SPD, Grüne und die Linke zwischen 17 und 20 Prozent. Aufgrund der höheren Stimmen– und Sitzanteile für Union und AfD in der neuen Wahlperiode überrasche es Wüst nicht, dass der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund nicht gestiegen sei.
Abgeordnete unterschiedlicher Herkunft in den Debatten
"Ideal wäre es, wenn die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen ihrem Anteil entsprechend im Parlament säßen", so Wüst. Denn wer im Parlament sitzt, beeinflusst die thematischen Schwerpunkte und politischen Interessen, die diskutiert und vertreten werden. Repräsentation im Bundestag bedeute, dass sich Personen unterschiedlicher Herkunft an der Debatte beteiligen, betont Wüst. Dies merke man dann zum Beispiel daran, wie häufig Migrationsbezüge in Reden oder Anträgen vorkommen.
"Die Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund bleibt hinter der Realität unserer Einwanderungsgesellschaft", sagt Didem Karabulut, Vorsitzende beim Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat. Die Zahlen seien alarmierend und deuten auf ein Demokratiedefizit hin: Eine Demokratie könne nur stark sein, wenn alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Herkunft und sozialem Status einbezogen werden, so Karabulut.
Herkunft beeinflusst Chancen auf Listenplatz
"Die Merkmale Geschlecht, Alter und Migrationshintergrund beeinflussen nach wie vor, welchen Listenplatz eine Kandidatin oder ein Kandidat bekommt", so Karabulut. Frauen, junge Menschen und Personen mit Migrationshintergrund seien tendenziell auf den hinteren Listenplätzen vertreten, weshalb ihre Aussicht auf einen Einzug in den Bundestag deutlich geringer ausfielen. Auf Parteitagen müssen sich die Kandidat*innen gegen erfahrene, meist männliche Kollegen durchsetzen, was in der Realität oft schwierig ist. Auch ein Direktmandat ist nicht garantiert: Migrant*innen werden seltener direkt gewählt, zeigt die Recherche des Mediendienstes.
Die Gründe dafür seien vor allem struktureller Natur: Fehlende politische Zugänge und Diskriminierung erschweren die politische Teilhabe für Menschen mit Migrationshintergrund. Auch Parteiprogramme seien ein Problem – denn hier würden oftmals die Interessen und Bedürfnisse von Migrant*innen nicht aufgegriffen, so Karabulut.
Bei der Ermutigung und Unterstützung von Kandidaturen sieht Wüst die Parteien in der Verantwortung: "Parteien müssen sich insgesamt nachhaltiger für Menschen anderer Herkunft öffnen". Junge Migrant*innen wüßten oft nicht, wie sie sich in der Politik beteiligen können, weil es ihnen an Wissen über politische Strukturen fehlt. In den Parteien vor Ort fehlten ihnen oft die nötigen Netzwerke.
Dagegen könne einiges getan werden: Bildung, gezielte Vermittlung politischen Wissens, gezielte Förderung und Mentoring von Menschen mit Migrationshintergrund erleichterten den Weg in die Politik. Letztlich sei es aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Chancengerechtigkeit zu gewährleisten, sagt Wüst.
Von Alma Beck Chacón
Sie sind Journalist*in und haben weitere Fragen oder suchen Fachleute zum Thema? Dann können Sie uns gern kontaktieren. Wir helfen schnell und unkompliziert. Unsere Texte und Grafiken können kostenfrei unter den Regeln der Creative Commons und unserer Namensnennung verwendet werden. Dies gilt nicht für Bilder und Fotos, die wir von Dritten erworben haben.