Bis vor kurzem waren vor allem die USA, Kanada, Norwegen und die Niederlande Zielländer für geflohene Wissenschaftler. Das hat sich laut der internationalen Hilfsorganisation "Scholars at Risk" inzwischen geändert. Deutschland sei im vergangenen Jahr zum Hauptziel in Europa geworden, auch für türkische Wissenschaftler. Die Strukturen hierfür werden hierzulande erst jetzt aufgebaut. Welche Hilfsangebote gibt es bereits für gefährdete Forscher, insbesondere aus der Türkei? Und wo kann die Hilfe noch verbessert werden?
Stipendienprogramme
Seit etwa zwei Jahren gibt es die "Philipp Schwartz-Initiative", die Stipendien für bedrohte Forscher bereitstellt. Finanziert wird sie vom Auswärtigen Amt und von mehreren Stiftungen. Von den aktuell 67 geförderten Wissenschaftlern kommen 28 aus der Türkei. Zwar wird das Programm im Moment stark ausgebaut, dennoch können viele Bewerbungen nicht berücksichtigt werden. "Angesichts der Nachfrage, nicht nur aus der Türkei, könnte man noch mehr Stipendien vergeben, wenn wir die Mittel dafür hätten", sagt Georg Scholl, Pressesprecher der Initiative.
Auch einzelne Bundesländer und Stiftungen haben Hilfsfonds für geflohene Forscher aufgesetzt, etwa Baden-Württemberg, Hessen oder die Volkswagenstiftung. Für Wissenschaftler aus der Türkei kommen diese Mittel allerdings häufig nicht in Frage, da die Fonds für anerkannte Flüchtlinge gedacht sind und türkische Forscher meist noch keinen langfristigen Aufenthaltsstatus besitzen.
"Die Stipendienprogramme müssen sich öffnen", fordert die Erziehungswissenschaftlerin und Konrektorin der Uni Bremen, Yasemin Karakaşoğlu. Auch wer noch nicht über einen Aufenthaltsstatus als Flüchtling verfügt, sollte sich für ein Stipendium bewerben können. Auch türkische Promovierende müssten gefördert werden, so die Soziologin Kira Kosnick von der Uni Frankfurt, schließlich hätten tausende von ihnen durch die Entlassungen in der Türkei ihre wissenschaftliche Betreuung verloren. Stipendien seien nur eine "Übergangslösung", warnt Karakaşoğlu von der Uni Bremen. Nach spätestens zwei Jahren bräuchten die Forscher "konkrete Anschlussperspektiven" an den deutschen Universitäten.
Engagement von Universitäten und Forschern
Einige deutsche Universitäten engagieren sich unabhängig von Stipendienprogrammen: Sie binden türkische Kollegen in Forschungsprojekte ein oder bieten ihnen Lehraufträge an. Auf diese Weise wurden etwa an der Universität Bielefeld im vergangenen Jahr zehn türkische Wissenschaftler aufgenommen. Zudem vernetzen sich geflohene Wissenschaftler immer stärker untereinander. Die deutsche Gruppe des Wissenschaftler-Netzwerks “Academics for Peace”, bringt türkische und deutsche Wissenschaftler zusammen und organisiert Unterstützung für Forscher aus der Türkei.
Hilfsangebote für geflohene Wissenschaftler:
Die Philipp Schwartz-Initiative unterstützt Hochschulen und Forschungseinrichtungen dabei, gefährdete Forscher für 24 Monate aufzunehmen. Finanziert werden die Stipendien vom Auswärtigen Amt und von verschiedenen Stiftungen. Anfang Juli wird die Zahl der Stipendien von derzeit 67 auf 120 erhöht werden.
Auch einzelne Stiftungen bieten Stipendien für geflohene Forscher, zum Beispiel die Volkswagenstiftung oder die Rosa-Luxemburg-Stiftung.
In der DAAD-Stipendiendatenbank findet man Stipendienangebote für Wissenschaftler, die aus der Türkei nach Deutschland kommen wollen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG bietet Zusatzförderungen, wenn Flüchtlinge in bestehende Forschungsprojekte eingebunden werden sollen.
Der "Hessen-Fonds" ermöglicht geflohenen Studierenden und Wissenschaftlern die Finanzierung von Forschungsaufenthalten an hessischen Hochschulen an. Eine ähnliche Förderung bietet die Baden-Württemberg-Stiftung mit dem "Baden-Württemberg Fonds".
Das Hilfsnetzwerk "Scholars at Risk" vermittelt gefährdete Forscher an mehr als 400 Hochschuleinrichtungen weltweit. Seit 2016 existiert auch eine deutsche Sektion, in der sich 32 Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen haben. Die Sektion bietet außerdem eine Liste mit Fördermöglichkeiten.
"Academics for Peace" ist ein internationales Netzwerk von betroffenen türkischen Wissenschaftlern. Der deutsche Ableger "BAK_Almanya" stellt aktuelle Nachrichten und Informationen zu Solidaritätsaktionen zur Verfügung.
"Adopt an Academic" ist ein Mentoring-Programm der FU Berlin und der Arab-German Young Academy of Sciences and Humanities (AGYA), das geflohene Wissenschaftler an deutsche Mentoren vermittelt. Geplant sind auch Weiterbildungen für Mentees zum Beispiel zur Fördermittelakquise.
Von Carsten Janke
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