Kriminelles Verhalten von Jugendlichen ist in den letzten zwanzig Jahren deutlich zurückgegangen. Das zeigt eine Expertise, die der Kriminologe Christian Walburg von der Universität Münster für den MEDIENDIENST erstellt hat. Zuletzt wurden wieder mehr Straftaten erfasst. Ob man dabei von einem deutlichen Trend sprechen kann, ist dem Kriminologen zufolge noch nicht klar.
Warum nimmt die Kriminalität wieder zu?
Eine wichtige Rolle bei der Zunahme dürfte die Corona-Pandemie spielen, so Walburg, der die Expertise bei einem MEDIENDIENST-Pressegespräch vorstellte. Wegen Kontaktbeschränkungen habe es weniger Gelegenheiten für Taten gegeben, diese würden jetzt nachgeholt. Zudem hatten Kinder und Jugendliche lange keinen Unterricht in der Schule, wodurch ihnen der Kontakt zu wichtigen Bezugspersonen und Unterstützung beim Lernen fehlten. Das beeinträchtigte besonders Schüler*innen aus benachteiligten Verhältnissen. Auch wirtschaftlich werden die Zeiten für einige Familien gerade härter. Das heiße natürlich nicht, dass betroffene Jugendlichen sofort kriminell würden, kriminelles Verhalten könne aber begünstigt werden.
Bei Debatten über Gewaltdelikte von Jugendlichen, Krawallen in Städten und Randalen in Schwimmbädern steht oft die Frage im Raum, ob das Verhalten der Jugendlichen insgesamt brutaler geworden ist. Dazu Walburg: "Wir können die Brutalisierungsthese so in der Forschung nicht belegen." Untersuchungen von etwa Gerichtsurteilen deuteten nicht darauf hin.
Die vollständige Expertise finden Sie hier als PDF.
Was am Ende zu den Krawallen in Berlin beim Jahreswechsel geführt habe, sei noch nicht ganz klar. Die Einschränkungen während der Pandemie dürften auch hier eine Rolle gespielt haben. Und insbesondere soziale Ausgrenzung, die Jugendliche erfahren, und die sich das an Silvester entladen habe. Zu den Ausschreitungen selbst komme es dann vor allem durch eine Gruppendynamik: Es entstehe eine Situation, in der die Beteiligten das Gefühl haben, dass sich soziale Normen umkehrten, es keine Kontrolle mehr gebe, beschreibt Walburg.
Nicht bei der Jugendarbeit sparen
Was hilft, um solchen Ereignissen vorzubeugen? „Es ist wichtig, sozialer Ausgrenzung entgegenzuwirken“, so Walburg. Eine wesentliche Stellschraube sei das Bildungssystem. "Da müssen wir alle Hebel in Bewegung setzten". Und investieren und nicht bei der Unterstützung von Jugendlichen, der Bildung und der Jugendsozialarbeit sparen.
Gewalt entstehe, wenn nicht einer, sondern verschiedene Faktoren zusammenkommen, so Ralf Gilb. Er ist Geschäftsführer des Vereins OutReach, der über mobile Teams in Berlin mit Jugendlichen arbeitet. Dazu gehören kriminelle Freundeskreise, das soziale Milieu oder wenn Jugendlichen Freizeitmöglichkeiten fehlen. Er erfahre oft, dass Jugendliche sagten, sie hätten Straftaten begangen, weil ihnen langweilig sei. Auch fehlende berufliche Perspektiven förderten kriminelles Verhalten.
An diesen Punkten setzt Outreach an, schafft Freizeitmöglichkeiten, setzt Berufscoaches ein. Und arbeitet nicht nur mit den Jugendlichen, sondern auch mit den Eltern und den Communities. Ganz zentral sei die Zusammensetzung der Teams von Sozialarbeiter*innen "Wenn wir in einem Gebiet sind, in dem 80 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund leben, versuchen wir, 80 Prozent Mitarbeiter*innen mit Migrationshintergrund einzusetzen, weil auch positive Rollenbilder entscheidend sind", so Gilb.
Ob härtere Strafen gegen Krawalle helfen, halten die Fachleute für fragwürdig. Natürlich sei es als Gesellschaft wichtig, Grenzen zu setzen und zu zeigen, dass etwa Angriffe auf Rettungskräfte und Polizei nicht akzeptabel seien. Abschreckung bringe in so einer Krawallnacht wenig, die Beteiligten würden da nicht wirklich über Konsequenzen nachdenken. Ralf Gilb sagt, dass es aus der Erfahrung von Outreach bei der Strafverfolgung vor allem wichtig sei, dass die Verfahren schnell abliefen: Dann merkten Jugendlichen auch, dass ihr Handeln direkte Konsequenzen habe.
Höchst problematisch, die Migrationsfrage zu stellen
Das eine Rezept der Prävention gebe es nicht, man müsse schauen, was für die Jugendlichen und auch zur Stadt passt, so Meri Uhlig, Integrationsbeauftragte der Stadt Karlsruhe. Bildung, Sprache und soziale Mobilität müssten gefördert werden. Für sie besonders bedeutend ist eine Willkommensstruktur der Stadt. Es sei höchst problematisch, dass nach Ausschreitungen schnell die Frage um die Herkunft der Beteiligten gestellt werde. Dazu Uhlig: "Die Jugendlichen sehen, dass sie selbst nicht anerkannt sind und dass ihre Eltern nicht anerkannt sind." Solche Debatten können die Rassismus- und Ausgrenzungserfahrungen der Jugendlichen verstärken – genau bei diesen Erfahrungen müsse Präventionsarbeit ansetzen und dem entgegenwirken.
Von Andrea Pürckhauer
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