MEDIENDIENST: Nach den Krawallen in der Silvesternacht forderte der Berliner CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner, die Vornamen der Täter*innen publik zu machen. Vor kurzem hat er diese Forderung rechtfertigt. Seine Begründung: Man solle die Hintergründe der Täter*innen kennen, um Präventionsangebote zu machen. Hilft ein Vorname wirklich, den Hintergrund eines Straftäters oder einer Straftäterin zu erötern?
Cihan Sinanoğlu: Nein. Als Forscher muss ich mir immer die Frage stellen: Wozu brauche ich bestimmte Kategorien bzw. was möchte ich damit erklären? In diesem Fall: Würde mir der Vorname des Täters oder der Täterin etwas über seine oder ihre Beweggründe sagen? Ich glaube, eher nicht. Was sagt ein Vorname über eine Person und sein Verhalten aus? Wenn im Fußballstadion Gewalt ausbricht, wird auch nicht nach den Vornamen von gewaltbereiten Hooligans gefragt.
Warum glauben Sie, dass diese Forderung gestellt wurde?
Hier wird versucht, ein soziales Phänomen zu ethnisieren. Das heißt: Es wird ein Zusammenhang zwischen Herkunft und kriminellem Verhalten insinuiert. Personen und Gruppen pauschal zu unterstellen, sie würden bestimmte Dinge tun, weil sie eine bestimmte Herkunft oder einen besonderen kulturellen Hintergrund haben, bezeichnen wir als Rassismus.
Dr. Cihan Sinanoğlu ist Sozialwissenschaftler und Leiter des "Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors" (NaDiRa). Zuvor war er Presse- und Öffentlichkeitsreferent bei der Türkischen Gemeinde in Deutschland e.V. tätig.
Wie sollte man die Hintergründe der Ausschreitungen der Silvesternacht ermitteln?
Die Gewalt in der Silvesternacht – und allgemein Gewalt in Großstadträumen – ist ein reales Problem. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den gewaltsamen Ausschreitungen und sozialen Verhältnissen in den Stadtviertelen gibt, in denen diese Ausschreitungen stattgefunden haben. Aus der Forschung wissen wir, dass diese sozialen Verhältnisse von verschiedenen Faktoren bestimmt werden: Wohnsituation, Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt, Gruppendynamiken unter jungen Männern. Keiner dieser Faktoren hat mit einem bestimmten kulturellen Hintergrund zu tun.
Man könnte argumentieren, dass junge Migrant*innen wenig Respekt vor deutschen Institutionen haben...
Hat das aber wirklich mit ihrem kulturellen Hintergrund zu tun? Inwiefern beeinflusst der kulturelle Hintergrund den Umgang einer Person mit staatlichen Institutionen? Und was meinen wir mit Kultur? Kultur erklärt erstmal nichts. Vielmehr müssten wir klären, was wir unter Kultur verstehen und wie diese mit dem Verhalten von Personen zusammenhängt. Viele dieser jungen Männer aus Einwandererfamilien haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Woran machen wir bei ihnen das "Deutschsein" fest? An ihrer Gesetzestreue? Was ist mit jungen Deutschen ohne Einwanderungsgeschichte, die sich kriminell verhalten? Sind sie deshalb weniger deutsch? Mein Plädoyer: Das ist die Jugend dieses Landes, das heißt soziale Probleme lassen sich nicht einfach ausbürgern oder kulturalisieren, sondern brauchen eine gesamtgesellschaftliche Antwort, die sich mit den sozialen Verhältnissen und sozialer Ungleichheit auseinandersetzt.
Würden Sie sagen, dass bestimmte Vornamen mit einem Stigma behaftet sind?
Ja. Und zwar nicht nur ausländisch klingende Namen. Ich kenne Bi-nationale Familien, die bei der Namenssuche für ihre Kinder bestimmte Vornamen aktiv vermeiden. Es geht darum, sich anzupassen, denn man weiß, dass ein ausländisch klingender Name oder andere kulturelle Merkmale zu Diskriminierung führen können. Und das wollen einige ihren Kindern ersparen.
Ein Vorname kann also doch das Leben einer Person beeinflussen...
Ja. Bewerbungen von Personen mit ausländisch klingenden Namen werden auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt viel öfter abgelehnt – wie zahlreiche Studien bewiesen haben. Der Vorname wird somit zum Verhängnis. Wenn man ausländisch klingende Namen auch noch mit einem kriminellen Verhalten verbindet, untermauert man Vorurteile, die zu einer noch stärkeren Diskriminierung führen.
Interview: Fabio Ghelli
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