2013 wurde deutlich: Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist nicht nur deutlich gestiegen, sie wächst auch weiterhin. Rund ein Drittel aller Asylbewerber kam im vergangenen Jahr aus Staaten im Westbalkan, genau gesagt Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo. Der Trend setzt sich 2014 fort: Laut Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge kam von Januar bis Mai jeder zehnte Asylsuchende aus Serbien. Das Land steht damit auf Platz zwei der Herkunftsländer – direkt nach der Krisenregion Syrien. Aus Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zusammen kommen rund acht Prozent aller Asylbewerber.
Seit der Aufhebung der Visumspflicht ist die Zahl der Asylanträge aus diesen Ländern deutlich gestiegen. Die Bundesregierung hat darauf reagiert und im April 2014 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll. Mit der Änderung würden Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft. Gesetzliche Grundlage dafür ist das Grundgesetz Artikel 16a (Abs. 3). In der Umsetzung bedeutet das: Asylsuchende aus diesen Staaten können schneller abgelehnt werden. Als "sicher" gelten bisher neben allen Staaten der Europäischen Union auch Ghana und Senegal.
Die Bundesregierung betont, die Entscheidung, die neuen Länder in die Liste sicherer Herkunftsstaaten aufzunehmen, sei nach sorgfältiger Prüfung gefallen – auch im Hinblick auf die Minderheiten. Sie verweist darauf, dass die drei Balkanländer bereits von Frankreich, Belgien, Luxemburg, Österreich und der Schweiz als sichere Herkunftsstaaten eingestuft sind. Die Unionsparteien wollen laut Medienberichten auch Albanien und Montenegro als sicher erklären. Doch bisher leistet der Koalitionspartner SPD Widerstand.
Montenegro: Drohungen gegen Journalisten
Die geplante Gesetzesänderung hat viel Kritik hervorgerufen. So äußerten sich zahlreiche Wissenschaftler, Anwälte und Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland in einem Appell vehement gegen das Vorhaben. Auch Experten vor Ort kommen durch ihre Beobachtungen und Erfahrungen zu anderen Einschätzungen als die Bundesregierung: In den Balkanländern würden Menschen sehr wohl verfolgt, bedroht und diskriminiert.
So stuft etwa Christian Mihr, Geschäftsleiter von "Reporter ohne Grenzen", die Lage in den montenegrinischen Medien als bedenklich ein: „Es gibt mehrere Fälle von Hasskampagnen, Drohungen und gar Bombenanschlägen gegen Journalisten, die über Korruption, Machtmissbrauch und Verstrickungen von Politik und organisierter Kriminalität berichten“, sagt Mihr. Solche Ereignisse überschatten das Land, das seit Dezember 2010 offizieller Beitrittskandidat der Europäischen Union ist. Hinzu kommt: In Montenegro ist seit Jahren eine einzige Partei an der Macht. „Allein mit Blick auf die Pressefreiheit ist es schon problematisch, dass die Länder des westlichen Balkans als sichere Herkunftsländer eingestuft werden“, so Mihr.
Nicht viel besser ist die Lage in Mazedonien, ebenfalls ein EU-Beitrittskandidat, der diesen Status bereits fünf Jahre vor Montenegro erhalten hat. Dort sind neben Journalisten auch ethnische Minderheiten stark gefährdet, erklärt der Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation „Civil“ aus Skopje, Xhabir Deralla. Die Entscheidung, Mazedonien als „sicheren Staat“ einzustufen, sei zu früh, meint Deralla: „Roma sind hier in einer hoffnungslosen Lage. Sie werden verfolgt, in Gerichtsentscheidungen strenger bestraft, in den Medien und sozialen Netzwerken werden Hasskampagnen gegen sie verbreitet. Da sich die beiden größten in Mazedonien lebenden ethnischen Gruppen (Mazedonier und Albaner) ständig bekämpfen, kümmert sich kaum jemand um ihre Probleme.“
Minderheit Roma: ausgegrenzt und verfolgt
Diskriminierung von Minderheiten, vor allem Roma, ist auch in Serbien ein großes Thema, das seit 2012 EU-Kandidat ist. Dass viele von ihnen arm sind und sozial isoliert, sei die Folge einer langanhaltenden politischen Ausgrenzung, kommentiert Zoran Gavrilovic vom „Bureau for social research" birodi: „Sie wurden an den Rand der Gesellschaft gedrängt und müssen ums Überleben kämpfen. Kaum jemand von ihnen ist in der Lage, sich politisch zu engagieren. Sie sind entweder Opfer von Korruption oder werden selbst kriminell. Deshalb suchen viele serbische Roma ihre Chance im Ausland.“
Von knapp 22.000 bearbeiteten Anträgen der Asylbewerber aus Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina wurden im vergangenen Jahr nur 60 anerkannt. Die geringe Erfolgsquote kommt daher, dass die Asylanträge von den Behörden in der Praxis schon jetzt meist pauschal abgelehnt werden, so der Geschäftsleiter der Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“, Günter Burkhardt. „Mit der Gesetzesreform wird es keine Einzelfallprüfung mehr geben, obwohl es in allen drei Staaten massive Menschenrechtsverletzungen gibt." Die Staaten seien unfähig, verfolgten und drangsalierten Minderheiten Schutz zu bieten. Übergriffe gegen Roma und Homosexuelle würden nicht geahndet: "Sie werden derart an den Rand gedrängt, dass es sich hier nicht um Armut, sondern um eine lebensbedrohliche Situation handelt“, erklärt Burkhardt"
Harald Neymanns, Sprecher des Bundesinnenministeriums, widerspricht: „Jeder Ausländer, der einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellt, erhält eine persönliche Anhörung – unabhängig vom Herkunftsland. Hier kann der Antragsteller alle Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung in seinem Herkunftsstaat begründen." Die Aussagen würden durch speziell geschulte Entscheider sorgfältig geprüft, sagt Neymanns. Das gelte auch für Antragsteller aus sicheren Herkunftsstaaten.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte laut Medienberichten bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag, Serbien habe selbst um die Aufnahme in die Reihe sicherer Herkunftsländer gebeten. Einem Land, das EU-Mitglied werden will, sei es zumutbar, seine Minderheiten ausreichend zu schützen, argumentierte de Maizière. Eine entsprechende Erklärung durch die serbische Regierung lässt sich nicht bestätigen. Auf Nachfrage heißt es in diplomatischen Kreisen, Serbien habe sich lediglich damit einverstanden erklärt, als sicheres Herkunftsland eingestuft zu werden.
Eine Randnotiz dazu: In Serbien werden Roma, die im Ausland Asyl ersuchen, von Politikern und in Medien als „verlogene Asylanten“ bezeichnet, die ihre Fluchtgründe nur vortäuschen.
Selma Filipovic hat Politikwissenschaften in Sarajewo und Bochum studiert. Anschließend war sie in Bosnien als Fernsehjournalistin und Moderatorin tätig. Seit 2009 arbeitet sie in Deutschland als Korrespondentin und Reporterin mit den Schwerpunktländern Bosnien, Serbien und Kroatien.
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