MEDIENDIENST: Sie haben mit Ihrem Team die Biografien von mehr als 80 türkeistämmigen Akademikern untersucht, die in die Türkei ausgewandert sind. Warum?
Martin Franz: Es galt bislang als sehr problematisch, wenn junge, gut ausgebildete Menschen mit Migrationshintergrund in die Türkei auswanderten. Die Diskussion drehte sich vor allem um den Verlust von Fachkräften und um die Frage, ob die Integrationspolitik gescheitert sei. Dabei wurde übersehen: Viele Auswanderer arbeiten in der Türkei für deutsche Unternehmen und sie sind wichtige Brückenbauer. Sie gehen auch nicht unbedingt dauerhaft, manche pendeln oder kommen nach ein paar Jahren zurück.
Wie viele hochqualifizierte Auswanderer gibt es?
Konkrete Zahlen gibt es nicht. Man kann aber feststellen, dass seit 2006 jährlich mehr Menschen in die Türkei gehen als umgekehrt. In unserem Projekt ging es besonders um die hochqualifizierten Deutschtürken. Einige hatten vorher bereits in der Türkei gelebt, andere sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Von den mehr als 6.200 deutschen Unternehmen, die in der Türkei aktiv sind, beschäftigen die meisten solche hochqualifizierten Deutschtürken.
Ist die Diskussion um einen "Brain-Drain", also um einen Verlust von Talenten, übertrieben?
Ich würde nicht von "Brain-Drain" sprechen, sondern eher von "Brain-Circulation". Besonders im Fall der hochqualifizierten Deutschtürken kann man das sehen: Sie leben mal in der Türkei und dann wieder in Deutschland. Sie vereinfachen damit transnationale Wirtschaftsbeziehungen. Das bringt Vorteile für beide Länder. Migration ist eben keine Einbahnstraße. Das gilt übrigens auch für die aktuelle Flüchtlingsmigration. Vielleicht geht es Syrien irgendwann besser und dann werden diejenigen, die zurückgehen, Deutschland verbunden bleiben. Daraus können dann wieder neue wirtschaftliche Beziehungen entstehen.

Prof. Dr. MARTIN FRANZ ist Professor für Human-geographie mit dem Schwerpunkt Wirtschafts-geographie an der Universität Osnabrück. In dem Forschungsprojekt „MIDETI – (Re-)Migranten im deutsch-türkischen Innovationsnetzwerk“ hat er zusammen mit Kollegen aus der Türkei die Biographien von über 80 Remigranten ausgewertet.
Warum wollen türkeistämmige Akademiker auswandern?
Viele haben Lust, mit ihrer „Zusatzqualifikation“ etwas anzufangen und sie interessieren sich für das Land ihrer Eltern oder Großeltern. Einige der Befragten fühlen sich in Deutschland bei Bewerbungen diskriminiert. Um dem zu entgehen, suchen sie sich eine Arbeit in der Türkei. Manche erhoffen sich auch einfach bessere Karrierechancen: Wir haben zum Beispiel im Rahmen unserer Untersuchungen eine junge Frau interviewt, die ursprünglich aus Bayern kam und in Dortmund studiert hat. Anschließend ging sie in die Türkei, um erste Berufserfahrung zu sammeln. Heute arbeitet sie als SAP-Software-Beraterin und pendelt regelmäßig zwischen Deutschland und der Türkei.
Und was versprechen sich die Unternehmen?
Viele Unternehmen wollen die Fähigkeiten der Deutschtürken nutzen, zum Beispiel wenn sie einen neuen Geschäftszweig in der Türkei aufbauen. Dann suchen sie jemanden für die Führungsebene, der sich in beiden Kulturen gut auskennt und beide Sprachen spricht. Häufig arbeiten Remigranten an der Schnittstelle zwischen der Unternehmenszentrale in Deutschland und der Tochterfirma in der Türkei – sie können mit beiden Seiten leicht kommunizieren und dienen so als Brückenköpfe.
Derzeit ist das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland angespannt. Merken das auch die Remigranten?
Generell sind die meisten Remigranten, die wir befragt haben, mit ihrer Entscheidung zufrieden. Einige sind aber zunehmend verunsichert wegen der politischen und wirtschaftlichen Lage. Der Drang, in die Türkei zu gehen, nimmt ab – das sagen uns die Unternehmen und Personalvermittler. Für die ist es in letzter Zeit schwieriger geworden, geeignete Kandidaten zu finden.
Interview: Carsten Janke
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