In den letzten Jahren gab es immer wieder Debatten darüber, ob Rassismus in der Arbeit der Polizei eine Rolle spielt. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass die Polizei in Deutschland Menschen auch aufgrund äußerer Merkmale kontrolliert. Nun gibt es eine Studie, die die Praxis der Polizei durch teilnehmende Beobachtung untersucht hat.
Dreieinhalb Jahre lang haben Dr. Astrid Jacobsen, Professorin an der Polizeiakademie Niedersachsen und Dr. Jens Bergmann, Professor an der Polizeiakademie Niedersachsen, die Gefahren für Diskriminierung in polizeilichen Arbeitsprozessen untersucht, davon ein Jahr (2021 und 2022) im Feld. Der Fokus lag dabei nicht auf individuellen Einstellungen oder individuellem Verhalten von Polizeibeamtinnen und -beamten – es ging also nicht um einzelne Beamt*innen, die sich unangemessen oder rassistisch verhalten oder aus Stress oder Angst fehlerhaft handeln. Stattdessen hat das Forschungsteam die polizeiliche Praxis analysiert: die alltäglichen Arbeitsgewohnheiten, Routinen und Verfahren. Untersucht wurde, ob bestimmte Verfahren und Routinen im Polizeialltag so ausgestaltet sind, dass das Risiko für eine Benachteiligung von bestimmten Personengruppen steigt.
Zur vollständigen Expertise >> hier (PDF zum Download).
Zur Methode: Das Forschungsteam hat den Polizeialltag des Einsatz- und Streifendienstes, der Kriminalpolizei und der Bereitschaftspolizei in Niedersachsen untersucht. Konkret sind die Forscher*innen mit Streife gefahren, waren bei Einsätzen dabei und haben die anschließende Dokumentationsarbeit verfolgt. Sie haben beobachtet, wie Ermittlungsansätze gesucht, Spuren gesichert und Vernehmungen durchgeführt werden und wie Versammlungen vorbereitet und durchgeführt werden.
Das Ergebnis der Forschung: Es wurden zwölf Momente in den Arbeitsprozessen gefunden, in denen Diskriminierungen begünstigt werden. Fünf davon betreffen rassistische Diskriminierung, die in den einzelnen Kapiteln der Expertise vorgestellt werden. Zentral ist, dass diese fünf Momente in den Arbeitsprozessen und nicht in individuellen Personen verortet sind. Das heißt, dass in diesen Fällen die Arbeitsprozesse selbst die Ursache von rassistischer Diskriminierung sind – und nicht persönliche Einstellungen, Überarbeitung oder Angst. Im Folgenden werden die fünf Momente polizeilicher Arbeitsprozesse, die Diskriminierung begünstigen, näher erklärt.
Anlasslose Kontrollen und Beobachtungen
Bei anlasslosen Kontrollen und Observationen liegt kein konkreter Anlass vor – die Polizei hat also keine konkreten Vorgaben, wen sie beobachten oder kontrollieren soll. Daher greifen Polizeibeamt*innen auf Auswahlkriterien zurück, die auf Erfahrungen und polizeilich erstellten Lagebildern beruhen. Diese weisen bestimmte Orte für bestimmte Straftaten durch bestimmte Tätergruppen aus. Beispiel: ein Areal hinter dem Bahnhof, auf dem der Verkauf von Kokain durch junge Männer im Alter zwischen 20 und 30 mit albanischer Staatsangehörigkeit erfolgt. Die Beobachtung wird also zunächst an einem Ort ausgerichtet. Alter, Geschlecht und vor allem die Herkunft hingegen werden dann über das äußere Erscheinungsbild festgemacht.
Das Forschungsteam beobachtete, dass die dann erfolgten Beobachtungen und Kontrollen vor allem Personen treffen, die als (vermeintlich) migrantisch erkennbar sind. Jede erfolgreiche Kontrolle bestätigt zudem den Verdacht und die Auswahlkriterien: Das Verdachtsschema wird bekräftigt, während die Selektivität der Kontrolle und damit die Reflexion, was nicht in den polizeilichen Blick gerät, unberücksichtigt bleibt. Mehr dazu in Kapitel 2 der Expertise.
Gefahrenbewertungen
Vor Einsätzen sammelt die Polizei Informationen zu Ort, Anlass und Personen, die an der Situation oder Straftat beteiligt sind. Das Forschungsteam hat beobachtet, dass in die Informationssammlung der Polizei neben objektiven Informationen zu Tatverdächtigen (zum Beispiel "bewaffnet") auch pauschalisierende Zuschreibungen einfließen: So wurden "Südeuropäer" als impulsiv, "Russen" als gewaltbereit und "Clan"-Angehörige als unkooperativ und polizeifeindlich bezeichnet, was mit einer erhöhten Gefahrenbewertung der Personen einhergeht.
Für Betroffene entstehen daraus diskriminierende Wirkungen: Sie sind mit einem größeren Aufgebot an Polizei konfrontiert, ihre Handlungsspielräume werden eingeschränkt und ihre Glaubwürdigkeit wird - unabhängig davon, wie sie sich in der konkreten Situation verhalten - pauschal in Zweifel gezogen. Mehr dazu in Kapitel 3 der Expertise.
Kontaktgestaltung
Das Forschungsteam hat beobachtet, dass Polizeibeamt*innen bestimmten Personengruppen pauschal Polizeifeindlichkeit und Respektlosigkeit unterstellen: vor allem männlichen Jugendlichen, politisch links motivierten Personen und als arabisch oder türkisch wahrgenommenen jungen Männern. In der Forschung wurde beobachtet, dass die Polizei ihre Machtüberlegenheit gegenüber diesen Personengruppen jenseits des konkreten Anlasses demonstriert. Die Diskriminierung äußert sich dann in einer reduzierten Zuwendung und Kommunikationsbereitschaft oder durch ungeduldiges, strenges Verhalten und missbilligende, ablehnende Kommentare. Mehr dazu in Kapitel 4 der Expertise.
Moralische Werturteile
Das Forschungsteam hat beobachtet, dass Polizeibeamte in ihrem Arbeitsalltag immer wieder auch moralische Werturteile treffen. Solche Werturteile erzeugen dann Diskriminierungen, wenn sie mit ethnischen Kategorien verbunden und begründet werden. Rassifizierende Werturteile sind nicht nur an sich diskriminierende Äußerungen, sondern können zudem im Arbeitsprozess diskriminierend wirken, wenn sie als Orientierung für die Verteilung von Aufmerksamkeit und Ressourcen herangezogen werden. Mehr dazu in Kapitel 5 der Expertise.
Gewährung von polizeilichem Gehör
Das Forschungsteam hat beobachtet, dass es immer mal wieder zu Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Polizei und bestimmten Personengruppen kommt – etwa wegen Sprachbarrieren oder einem unterschiedlichen Verständnis einer Situation. Es wurde eine Tendenz seitens der Polizei beobachtet, die Befragung vorzeitig abzubrechen: Mit Blick auf knappe Ressourcen (Zeit, verfügbare Dolmetscher*innen) wurde auf die Suche nach Verständigungsmöglichkeiten verzichtet. Dies führt dazu, dass der befragten Person das anlassangemessene polizeiliche Gehör nicht eingeräumt wird. Betroffen sind hier unter anderem Personen, die nicht oder nicht gut Deutsch sprechen. Mehr dazu in Kapitel 6 der Expertise.
Von Donata Hasselmann
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