Die Landeskriminalämter (LKAs) Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie das Bundes-
kriminalamt erstellen seit einigen Jahren Lageberichte zum Thema "Clankriminalität". Dieser Fokus entstand in der ersten Hälfte der 2000er Jahre: Damals gründeten die LKAs Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Berlin eine Projektgruppe zu kriminellen Aktivitäten von Angehörigen von Familien "türkisch-arabischer Herkunft" aus der türkischen Provinz Mardin (sogenannte Mhallamiye-Kurden). Die Projektgruppe erarbeitete eine Liste von "Clan-Namen". Diese Namensliste wurde die Grundlage für spätere Lagebilder. Seit 2018 haben die LKAs Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Berlin ihre Polizeiarbeit in Bezug auf "Clankriminalität" über die Gruppe der "Mhallamiye-Kurden" hinaus erweitert und erfassen auch Personen anderer Nationalitäten.
Dieser Artikel (PDF) ist Teil der Publikation "Arabische Großfamilien und die 'Clankriminalität'" von Dr. Mahmoud Jaraba (Mediendienst Integration, 2021).
Was fällt unter "Clankriminalität"?
"Clankriminalität“ wird in den Lageberichten als Unterkategorie von „Organisierter Kriminalität“ (OK)
aufgeführt. Auch die für "Clankriminalität" zuständigen Dezernate sind in der Regel Dezernate in der Abteilung OK. In der Praxis allerdings wird "Clankriminalität" von den Kriminalämtern nicht unbedingt als Teil von OK angesehen.
Ein Blick auf die Straftaten, die im Bundeslagebild und in den Lageberichten der Länder unter „Clankriminalität“ aufgelistet werden, verdeutlicht das: Es werden nicht nur Delikte erfasst, die zur Organisierten Kriminalität gehören (wie z.B. Geldwäsche oder Rauschgifthandel), sondern auch Allgemeinkriminalität (wie z.B. Körperverletzungen, Verkehrsstraftaten oder Verstöße gegen das Corona-Infektionsschutz-Gesetz).
"Clankriminalität" stellt daher keinen Unterbereich von organisierter Kriminalität dar, sondern ist ein Überbegriff für verschiedenartige Straftaten.
Wessen Straftaten werden als "Clankriminalität" bezeichnet?
Eine einheitliche, bundesweite Definition von „Clankriminalität“ gibt es bisher nicht. Die LKAs und das BKA arbeiten bislang mit (zum Teil sehr) unterschiedlichen Definitionen und Erfassungsmethoden. So heißt es im Lagebild des Landeskriminalamts Niedersachsen: "Der Begriff der 'Clankriminalität' ist weder gesetzlich verankert noch allgemeinsprachlich definiert". Im Lagebericht "Organisiert Kriminalität" des LKA Bayern aus dem Jahr 2019 steht: "Der öffentlich dadurch strapazierte Begriff 'Clankriminalität' ist bisher bundesweit polizeilich nicht abschließend und einheitlich definiert".
Gemeinsame Definitionspunkte umfassen:
- Als "Clan" verstehen die Kriminalämter eine Gruppe, die durch verwandtschaftliche Beziehungen und eine gemeinsame ethnische Herkunft verbunden ist.
- Dem "Clan" läge eine patriarchalisch-hierarchische Familienstruktur zugrunde.
- Innerhalb der "Clans" würden Konflikte von den Familienoberhäuptern geschlichtet.
- Die "Clan-Mitglieder" verweigerten tendenziell die Integration in der Mehrheitsgesellschaft, provozierten Eskalationen und wiesen eine hohe Gewaltbereitschaft auf.
Eine bundesweite Definition von "Clankriminalität" wird derzeit im Rahmen der Bund-Länder Initiative
zur Bekämpfung der Clankriminalität erarbeitet.
Auf die Frage, wann konkret ein Delikt als "Clan"-Delikt gilt, geben die verschiedenen Kriminalämter
unterschiedliche Antworten:
- Das LKA-Niedersachsen fasst ein Delikt unter "Clankriminalität", wenn bestimmte Auffälligkeiten vorhanden sind – z.B. wenn sich eine "Tumultlage" bildet, also, wenn Polizeibeamt*innen in ihrer Arbeit von großen Gruppen von Angehörigen verhindert werden.
- Das LKA-NRW führt eine Namensliste für die Familien, deren Angehörige (bzw. deren Name) am häufigsten im Kontext von "Clankriminalität" aufgefallen sind.
- Das LKA-Berlin zählt Delikte als „Clankriminalität“, die von einer oder mehreren Personen verübt wurden, die bereits im Kontext von Ermittlungen zu "Clan"-Aktivitäten aufgefallen sind.
Insbesondere an der Methode, "Clankriminalität" mithilfe von Namenslisten bestimmter Großfamilien zu fassen, gibt es Kritik. Zusammengefasst bedeutet diese Methode, dass eine Straftat von einer Person, die einen entsprechenden Familiennachnamen trägt, als "Clankriminalität" zählt – z.B. Bahnfahren ohne Ticket, ein Verstoß gegen die Corona-Verordnung oder eine Körperverletzung. Die gleiche Straftat zählt bei einer Person ohne einen gelisteten Nachnamen als Allgemeinkriminalität.
Dazu kommt, dass dort, wo aktiv gesucht wird, auch mehr gefunden werden kann. Dies wird etwa im
Berliner Lagebericht zu "Clankriminalität" auch explizit erwähnt: "Im Hinblick auf Fallzahlen zu Verkehrsstraftaten, Verstößen gegen das Betäubungsmittel-/ Arzneimittel- sowie das Infek-
tionsschutzgesetz wird darauf hingewiesen, dass es sich dabei um Kontrolldelikte handelt. Insofern geht mit der Erhöhung des Verfolgungsdrucks auch eine Zunahme von Fallzahlen in diesen Kriminalitätsbereichen einher."
Ist "Clankriminalität" ein arabisch-türkisches Phänomen?
Lange Zeit galt "Clankriminalität" als arabisch-türkisches Phänomen. Dabei ist zu beachten, dass die Kategorie "Clankriminalität" überhaupt nur für Straftaten von Angehörigen arabisch-türkischer Großfamilien geschaffen worden war. Seit 2018 haben die LKAs Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Berlin ihre Polizeiarbeit in Bezug auf "Clankriminalität" über die Gruppe der "Mḥallamīya-Kurden" hinaus erweitert und erfassen auch Personen anderer Nationalitäten.
Mediale Aufmerksamkeit für die Lageberichte
Eine Analyse der Berichterstattung in Printmedien zeigt, dass die mediale Aufmerksamkeit für "Clankriminalität" immer dann besonders groß ist, wenn die neuen Lageberichte der Bundesländer oder des BKA veröffentlicht werden:
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