Immer wieder werden rassistische Polizeichats aufgedeckt. Neue Studien zeigen, dass Personen, die als fremd wahrgenommen werden, häufiger von der Polizei kontrolliert werden als andere. Was tun Bund und Länder gegen Rassismus und Antisemitismus bei der Polizei? Eine MEDIENDIENST-Umfrage unter den Innenministerien und unabhängigen Polizeibeauftragten von Bund und Ländern zeigt: Die Unterschiede sind groß, vielerorts fehlt es an strukturellen Maßnahmen.Quelle
Die Ergebnisse der Recherche im Überblick:
- Wissenschaftliche Studien zu Rassismus bei der Polizei gibt es in vier Bundesländern und bei der Bundespolizei.
- Unabhängige Polizei-Beschwerdestellen gibt es in acht Bundesländern und bei der Bundespolizei. Viele dieser Polizeibeauftragten haben beschränkte Befugnisse und wenig Personal.
- Eine Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen gibt es in elf Bundesländern. In fünf gilt sie nur bei Großeinsätzen.
- Rassistische und antisemitische Verdachtsfälle unter Polizist*innen werden nicht einheitlich erfasst.
Die vollständige MEDIENDIENST-Recherche "Rassismus und Antisemitismus bei der Polizei: Was tun Bund und Länder?" finden Sie hier. Die Befragungen fanden zwischen Juli 2023 und Januar 2024 statt.
Die Hälfte der Bundesländer hat unabhängige Polizei-Beschwerdestellen
Wenn Betroffene rassistisches Polizeiverhalten anzeigen, ermittelt Polizei gegen Polizei. Polizeiforscher fordern deshalb Beschwerdestellen, die solche Fälle unabhängig untersuchen können - die also nicht der Polizei oder der Landesregierung unterstehen, sondern etwa dem Parlament. Seit März 2024 gibt es einen unabhängigen Beauftragten für die Bundespolizei, er ist beim Bundestag angesiedelt. Die Hälfte der Bundesländer (8 von 16) haben ähnliche unabhängige Polizei-Beschwerdestellen: Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen (Stelle seit 2020 unbesetzt), Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wollen solche Stellen einführen. Medienberichten zufolge soll ein Gesetz dazu in NRW im ersten Halbjahr 2024 kommen. Quelle
Fehlende Akteneinsicht, begrenzte Befugnisse
"Für meine unabhängige Arbeit ist es enorm wichtig, dass ich in der Lage bin, mir die Informationen zu beschaffen, die ich als relevant erachte", sagt Sermin Riedel, Polizeibeauftragte in Bremen. Laut Mediendienst-Recherche fehlt es vielen unabhängigen Polizeibeauftragten jedoch an Befugnissen, um Beschwerden gegen die Polizei zu untersuchen. Unbeschränktes Recht auf Akteneinsicht bei sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft haben nur die Polizeibeauftragten in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. In Baden-Württemberg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern können die Beschwerdestellen weder bei der Polizei noch bei der Staatsanwaltschaft Akten einsehen.
Ermitteln Polizei oder Staatsanwaltschaft bereits, hat nur der Berliner Polizeibeauftragte das uneingeschränkte Recht, den Fall parallel selbst zu untersuchen. In Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz dürfen die Polizeibeauftragten nicht tätig werden, wenn Polizei oder Staatsanwaltschaft bereits ermitteln. Auch in anderen Bundesländern gibt es dabei Einschränkungen. "Gerade in solchen schwerwiegenden Fällen brauchen die Polizeibeauftragten aber die Kompetenzen, Sachverhalte selbst zu untersuchen", sagt Polizeiforscher Hartmut Aden.
Es braucht Personal
Polizeibeauftragte benötigen außerdem entsprechende Ressourcen. "Die Bearbeitung der Beschwerden ist sehr kleinteilig, dafür braucht es ausreichend Personal", sagt Riedel. Viele Polizeibeauftragte haben jedoch nur einen kleinen Stab. Riedel hat aktuell nur eine Mitarbeiterin. Die Polizeibeauftragten in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben zwei Mitarbeitende, die sich um Polizeiangelegenheiten kümmern, in Schleswig-Holstein sind es drei, in Berlin vier und in Rheinland-Pfalz fünf Mitarbeitende. In mehreren Ländern sind Stellen unbesetzt - teilweise, weil sich die Beschwerdestellen noch im Aufbau befinden. Für den Stab des Polizeibeauftragten des Bundes sind 18 Stellen vorgesehen. Mitarbeitende müssen nicht nur Beschwerden bearbeiten, sondern die Beschwerdestelle auch in der Bevölkerung bekannt machen. "Wir erreichen bislang nur einen Bruchteil der Leute, die wir erreichen könnten und müssten", sagt Riedel. Mehrsprachiges Informationsmaterial über die Polizei-Beschwerdestellen gibt es bisher nur in Rheinland-Pfalz.
Polizeibeauftragte nicht bekannt genug
Einige Polizei-Beschwerdestellen erhalten sehr wenige Rassismusbeschwerden, die Zahl unterscheidet sich je nach Bundesland: In Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern gingen 2023 keine Rassismusbeschwerden über die Polizei ein, in Baden-Württemberg dagegen elf. In Schleswig-Holstein waren es zwischen Oktober 2022 und September 2023 vier Beschwerden, in Bremen seit März 2022 etwa 20. Fachleute gehen davon aus, dass die Beschwerdemöglichkeiten unter Menschen, die von Rassismus betroffen sind, nicht bekannt genug sind. "Um das Vertrauen von Betroffenen zu stärken, kann es zudem hilfreich sein, wenn die Polizeibeauftragten selbst Diversitätsmerkmale haben und zum Beispiel aus Einwandererfamilien kommen", sagt Polizeiforscherin Daniela Hunold.Quelle
Wie verbreitet Rassismus in der Polizei ist, ist wenig erforscht. Seit Jahren fordern Fachleute daher unabhängige wissenschaftliche Studien. Aktuell laufen solche Untersuchungen in Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und bei der Bundespolizei. In Berlin erschien 2022 eine Studie. Eine Studie in Baden-Württemberg untersucht nur angehende Polizist*innen. Fachleute vermuten jedoch, dass Rassismus vor allem mit zunehmender Berufserfahrung ein Problem ist. In Hessen und Thüringen sind Studien geplant. Die übrigen Bundesländer planen keine unabhängigen Rassismus-Studien. Der Großteil der Länder beteiligt sich an der sogenannten MEGAVO-Studie. Sie geht auf den ehemaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zurück und untersucht vor allem den Alltag und auch Einstellungen von Polizist*innen - und ist laut Projektwebseite ausdrücklich keine Rassismus-Studie.Quelle
Kontrollquittungen nur in Bremen
Personen, die als fremd wahrgenommen werden, werden in Deutschland doppelt so oft von der Polizei kontrolliert wie andere Menschen. Verdachtsunabhängige Polizeikontrollen aufgrund äußerer Merkmale (Racial Profiling) sind verboten. Kontrollquittungen können die Anzahl solcher Kontrollen reduzieren. Dabei bescheinigen die Beamt*innen den Kontrollierten an Ort und Stelle den Grund der Kontrolle. "Das soll Polizist*innen dazu bringen zu reflektieren, warum sie eine bestimmte Person angehalten haben", sagt der Kriminologe Tobias Singelnstein. "Beim Ausfüllen fragen sich die Beamt*innen idealerweise, ob sie die Auswahl auch aufgrund eigener Vorurteile oder Stereotype getätigt haben." Betroffene können mit den Quittungen ihre Erfahrungen nachweisen und sichtbar machen. Solche Bescheinigungen sind in Deutschland die Ausnahme: Nur die Polizei in Bremen stellt sie an "besonderen Kontrollorten" aus und nur auf Verlangen. Betroffene nehmen das selten in Anspruch, im Jahr 2023 stellten Bremer Beamt*innen nur sechs Quittungen aus (2022: 36, 2021: 8). Nach Ansicht von Fachleuten sollten die Quittungen verpflichtend ausgestellt werden. Auch die Bundespolizei soll laut Kabinettsbeschluss künftig solche Quittungen auf Verlangen ausstellen. Sachsen und Thüringen wollen die Bescheinigungen ebenfalls einführen, Gesetzentwürfe gibt es dort aber noch nicht.Quelle
Kennzeichnungspflicht in elf Bundesländern, in fünf davon nur bei Großveranstaltungen
Damit Betroffene sich bei diskriminierendem Polizeiverhalten beschweren oder Anzeige erstatten können, müssen Polizist*innen identifizierbar sein. In sechs Bundesländern gibt es eine allgemeine Kennzeichnungspflicht: In Berlin, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen müssen Polizeibeschäftigte ein Namensschild oder eine individuelle Nummer tragen. In fünf weiteren Bundesländern (Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein) gilt die Kennzeichnungspflicht nur bei Großeinsätzen oder in Ausnahmefällen wie an Infoständen. Befragungen unter Betroffenen rassistischer Polizeigewalt zeigen aber: People of Colour kommen häufig außerhalb von Großveranstaltungen mit der Polizei in Kontakt, der häufigste Anlass sind Personenkontrollen.Quelle
Rassistische Verdachtsfälle nicht einheitlich erfasst
Wie viele rassistische und antisemitische Verdachtsfälle es unter Polizeibeschäftigten gibt, ist schwer zu sagen, da Bund und Länder die Daten sehr unterschiedlich erfassen. Die Zahlen sind daher nicht vergleichbar. Die Bundespolizei sowie Bayern, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern können überhaupt keine Zahlen nennen. Lediglich Hamburg, Sachsen und das Saarland geben an, rassistische Verdachtsfälle systematisch separat zu erfassen. Das Saarland nennt für 2023 zwei rassistische Verdachtsfälle, in Hamburg waren es fünf und in Sachsen (erstes Halbjahr) kein Fall. Viele Bundesländer erfassen oder nennen rassistische und antisemitische Verdachtsfälle bei der Polizei nicht separat, sondern zusammen mit rechtsextremen Verdachtsfällen (Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen). Dazu gehören etwa auch Verherrlichung des Nationalsozialismus oder Verwenden von Symbolen verfassungswidriger Organisationen. So gab es beispielsweise 2022 in Baden-Württemberg 26 Verdachtsfälle auf rechtsextremistische Gesinnung bei 94 Polizist*innen. Da es sich um Verdachtsfälle handelt, enthalten die Daten keine Informationen über den Ausgang der Ermittlungen und Verfahren.
Von Miriam Kruse, Miriam Sachs, Donata Hasselmann, Darius Adu Bright, Grafik: Sophie Thieme
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