MEDIENDIENST: Die muslimische Weltbevölkerung ist sehr jung und ihr Anteil wächst, auch in Europa. Wirtschaftsexperten sagen voraus, dass diese Zielgruppe zunehmend wichtiger werden dürfte. Was bedeutet das für global agierende Unternehmen?
Hans Jablonski: Generell gilt, dass eine kaufkräftige Kundschaft für Unternehmen interessant ist und sie sich darauf ausrichten. Dies gilt zum einen für internationale Märkte wie zum Beispiel China als Wachstumsmarkt. Es gilt aber auch im Hinblick auf andere Diversity-Dimensionen, also etwa Frauen, Männer oder Homosexuelle als Zielgruppen. Die Produkte und auch die Ansprache der Kundschaft müssen speziell auf diese Zielgruppen ausgerichtet sein. Die Affinität und Nähe zu der Kundschaft spielt dabei eine große Rolle.
Wie kriegt man die hin?
Es gibt das Beispiel eines Unternehmers aus dem Ostwestfälischen. Dessen Umsatz ist um 30 Prozent gestiegen, seit sein Key-Account-Manager für die Türkei jemand ist, der selbst türkische Wurzeln hat. Das heißt: Das Verständnis für diesen Markt und das, was hier gefragt ist, steigt rapide an, wenn diese Affinität auch im Unternehmen abgebildet ist.
HANS JABLONSKI ist Experte und Berater für Diversity & Inclusion. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit dem Thema. Er war der erste Diversity Manager in Deutschland bei Ford und später bei BP in London. Mit seiner Firma jablonski business diversity (jbd) berät er Unternehmen zu Strategien im Bereich Diversity Management. Rund ein Drittel der DAX-Unternehmen zählen zu seinen Kunden. Er ist einer der Mitbegründer der Charta der Vielfalt, die 2006 ins Leben gerufen wurde.
Vielfalt nur in der Werbung zu propagieren reicht also nicht – man muss sie im Unternehmen auch leben?
Mit entsprechender Werbung wird versucht, bestimmte Kundengruppen gezielt anzusprechen. Das allein ist nicht immer erfolgreich. Es gibt Beispiele von Unternehmen, wo dies nicht gut gelaufen ist. Das passiert zum Beispiel, wenn Männer sich überlegen, wie Autos für Frauen attraktiver gemacht werden können. Oder, wenn sich Ältere überlegen, „mal etwas für Jüngere“ zu machen. Das Denken ist dann meist von stereotypen Vorstellungen im Kopf geprägt. Mit der Realität hat dies nichts mehr zu tun. Ist die Zielgruppe im Unternehmen nicht repräsentiert, hat das Unternehmen hier einen blinden Fleck.
Sind Unternehmen, die sich für Diversity öffnen, auch offener für die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter – zum Beispiel, wenn sich muslimische Kolleginnen oder Kollegen einen Gebetsraum wünschen?
Unternehmen gehen davon aus, dass Menschen mehr Leistung erbringen, wenn sie sich und ihre Arbeit wertgeschätzt fühlen. Die Art und Weise der Wertschätzung ist unterschiedlich. So haben manche Unternehmen für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ruheräume eingerichtet. Ob darin dann ein Gebetsteppich liegt, oder sich darin ein Bällebad oder Entspannungsliegen befinden, das kann dem Unternehmen egal sein. Wichtig ist, dass sich die Menschen in ihren Pausen erholen oder das tun, was Ihnen über die Arbeit hinaus wichtig ist, damit sie in der übrigen Zeit wieder produktiver sind.
Der US-Spielzeughersteller Mattel hat gerade eine Barbie mit Hijab auf den Markt gebracht. Der Sportartikelhersteller Nike bietet einen Sport-Hijab für muslimische Athletinnen an. Und internationale Modefirmen, von Dolce & Gabbana bis H&M, entwerfen "Modest-Fashion"-Kollektionen für Frauen, die aus religiösen Gründen wenig Haut zeigen oder ihr Haar bedecken wollen. Warum integrieren Unternehmen in jüngster Zeit verstärkt das muslimische Kopftuch in ihre Produkte oder ihre Werbung?
Wie gesagt: Unternehmen richten sich in der Ansprache der Kundschaft auf deren Wünsche und Gepflogenheiten ein. In diesem Fall wird ein Standardprodukt, also eine Barbie-Puppe, so auf die Kundschaft ausgerichtet, dass diese die Zielgruppe anspricht. So gibt es die Barbie-Puppe in verschiedensten Varianten: mit unterschiedlichen Hautfarben, unterschiedlichen Körperformen, die weibliche Barbie als Lesbe oder eben mit Hijab. Die Kundschaft von globalen Unternehmen ist vielfältig und existiert nebeneinander. Unternehmen sollten diese Vielfalt abbilden und eine wertschätzende Unternehmenskultur aufweisen. Das ist gut für den Profit, aber auch die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und letztendlich auch für die Gesellschaft.
Ist es für Unternehmen nicht riskant, so gezielt um muslimische Kunden zu werben? Muss man da nicht mit Kritik von Kopftuchgegnern und Shitstorms von Islamhassern rechnen?
Es passiert, dass bestimmte Gruppen so etwas aufgreifen und für ihre politischen und populistischen Zwecke missbrauchen. Damit muss sich ein Unternehmen dann auseinandersetzen und sich entsprechend positionieren. Eine bewusste Ausgrenzung von bestimmten Kundinnen und Kunden wäre ein Verlust für das Unternehmen. Aber in den meisten Fällen werden Unternehmen, die sich auf Ihre Kundschaft wie beschrieben ausrichten, als weltoffen und positiv wahrgenommen.
Aber wenn der Gegenwind zu stark wird: Lässt man das dann lieber sein?
Bei manchen Unternehmen gibt es diese Bedenken. So besteht die Scheu, sich in neue Märkte zu begeben und damit in eine Ecke gestellt zu werden und Angriffsfläche zu bieten. Manche Unternehmen probieren deshalb erst einmal auf Testmärkten neue Produkte oder Marktstrategien aus und sind von dem Erfolg dann oft positiv überrascht. Die Befürchtungen wurden nicht bestätigt, sondern ganz im Gegenteil: Die neue Offenheit führte zum Erfolg. Die Vorbehalte waren also nur im eigenen Kopf.
Die Deutsche Bahn hat jüngst einen Werbespot veröffentlicht, der Vorbehalte gegenüber Frauen mit Kopftuch thematisierte. Und der Drogeriewaren-Konzern Procter & Gamble wirbt mit der emiratischen Eiskunstläuferin Zarah Lari, die ein Kopftuch trägt, für eine "Welt ohne Vorurteile". Kann Werbung gesellschaftliche Toleranz befördern?
Viele Unternehmen versuchen, durch Spots oder Aufklärungs-Kampagnen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden. Das fällt unter „Corporate Social Responsibility“ oder "Corporate Responsibility". Das ist etwas Anderes als die Frage: Wie erreiche ich bestimmte Kundengruppen? Idealerweise geht das aber miteinander einher.
Ist das Erstarken des Rechtspopulismus eine Herausforderung für das Diversity Management?
Ja, dazu gibt es Berichte aus den USA. Manche Unternehmen berichten über Schwierigkeiten – etwa, dass Kolleginnen oder Kollegen an der Einreise in die USA gehindert wurden und deswegen nicht an Meetings teilnehmen können. Andere berichten darüber, dass sich Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter auf dem Weg zur Arbeit oder gar auf der Arbeit nicht mehr sicher fühlen und Angst vor Anfeindungen haben. Für die Unternehmenskultur und die Arbeit im Diversity Management ist dies eine echte Herausforderung. Meine Meinung ist: Länder, die sich abschotten, sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Viele Unternehmen in Deutschland machen einen Großteil ihrer Geschäfte mit dem Ausland. Unser Wohlstand beruht darauf, dass wir mit der Welt zusammenarbeiten. Mit der Offenheit bleiben wir auch weiterhin erfolgreich.
Interview: Daniel Bax
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