In einem Input erläuterte die Betriebswirtin Prof. Dr. Getraude Krell, was sich hinter dem Begriff verbirgt: Diversity Management wurde in den USA von Personalern und Unternehmensberatern entwickelt. Sie wollten wissen, wie man die Herausforderungen in heterogenen Belegschaften meistern und die damit verbundenen Potenziale nutzen kann. Ihr Fazit: Mit Diversity-Strategien kann man die Motivation der Mitarbeiter, deren Identifizierung mit dem Unternehmen, die Kundenbindung und damit Gewinn und Wettbewerbsfähigkeit steigern.
In den 90er-Jahren kam das Konzept nach Europa. Neben Privatunternehmen hat es mittlerweile in Verwaltungen, Hochschulen und anderen Organisationen Einzug gehalten und wird immer häufiger ganzheitlich verstanden: Alle Mitarbeiter sollen sich unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder einer Behinderung gleichberechtigt entwickeln können.
Die "Charta der Vielfalt"
2006 gründeten vier Unternehmen in Deutschland die "Charta der Vielfalt". Ihr Kernstück sind Leitsätze und Maßnahmen, um mehr Vielfalt am Arbeitsplatz umzusetzen. Über 1.700 Betriebe in ganz Deutschland haben die Selbstverpflichtung bisher unterzeichnet, wie Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin des Vereins Charta der Vielfalt, den Journalisten erläuterte.
Für Hardenberg, die zuvor bei der Deutschen Bank für das Diversity-Management verantwortlich war, sind Vielfalt-Strategien "keine Kür, sondern Pflicht für den Standort Deutschland". Jeder Kunde brauche sein passendes Gegenüber. Man müsse aber auch um die Mitarbeiter werben und ihnen entsprechende Angebote machen, sonst zögen sie in andere Unternehmen oder Länder weiter. Viele Firmen haben das offenbar erkannt und machen zum Beispiel die Beurteilung und Vergütung von Führungskräften davon abhängig, ob sie sich an Diversity-Vorgaben halten.
Diversity in der Praxis
Wie setzen Unternehmen und andere Einrichtungen mehr Vielfalt praktisch um? Drei unterschiedliche Arbeitgeber aus Berlin gaben dazu bei der Informationsfahrt Einblicke in ihre Arbeit.
Mit einem Besuch bei der Deutschen Bahn AG führte die erste Station zu einem großen Unternehmen mit weltweit über 300.000 Mitarbeitern, davon rund 195.000 in Deutschland. Hier setzt man vor allem auf die Förderung von Potenzialen benachteiligter Jugendlicher. Gleich in mehreren Projekten widmet sich die DB Services GmbH, ein Tochterunternehmen der Bahn, dem Thema. Mit dem "DB-Zukunfts-Camp" etwa spricht sie seit 2012 Schüler aus Einwandererfamilien an, deren Notendurchschnitt normalerweise nicht für eine Ausbildung reichen würde. Rund 50 von ihnen erhalten die Chance, sich über Ausbildungsmöglichkeiten bei der Bahn zu informieren und Bewerbungstrainings zu machen. Rund 40 Prozent der Teilnehmer bekämen im Anschluss ein Angebot für eine Ausbildung oder andere Einstiegsmöglichkeiten beim Konzern, so Projektleiterin Nihal Kodaman.
Die Firma muss sich beim Mitarbeiter bewerben
Nächster Programmpunkt war ein Besuch bei der Business Technology Consulting AG (BTC). Die Beratungsfirma stellt IT-Systeme bereit, etwa für die Steuerung und Kontrolle von Energienetzen. Das mittelständische Unternehmen hat rund 1.900 Mitarbeiter und Zweigstellen in der Schweiz, der Türkei, Polen und Japan. Allein in der Berliner Niederlassung seien rund 30 Sprachen vertreten, sagt Rüdiger Theobald, Leiter der Führungskräfte- und Mitarbeiterentwicklung.
Zur Strategie des Unternehmens gehören nicht nur Diversity-Trainings für Führungskräfte, Sprachkurse für neue Mitarbeiter oder Veranstaltungen zum Vernetzen und Kennenlernen. BTC hat sich selbst eine "kultursensible Einstellungspolitik" verschrieben und will "positive Irritationen" schaffen, wie Theobald es nennt. Die können etwa darin bestehen, dass eine Mitarbeiterin eingestellt wird, obwohl sie im Bewerbungsgespräch sagt, schwanger zu sein. Oder darin, dass die Kommunikationssprache in einem Team kurzfristig auf Englisch umgestellt wird, wenn ein neuer Mitarbeiter hinzukommt.
Auch ein ausländischer Berufsabschluss, der in Deutschland nicht anerkannt ist, sei bei BTC nicht unbedingt ein Hinderungsgrund für eine Einstellung. Die Vorteile liegen für Theobald auf der Hand: "Vielfalt macht uns besser. Es bringt Know-How, es ist wichtig für die Internationalisierung, für den Umgang mit anderen Kulturen, für das Team-Building. Wenn man sich auf das Thema Diversity nicht einlässt, hat man verloren." Man müsse sein Denken verändern und sich als Firma bei den Mitarbeitern bewerben, nicht umgekehrt.
"Alle sollen sich willkommen fühlen"
Die dritte Station der Tour führte zur Komischen Oper. Im März 2014 hat sie als erstes Opernhaus in Deutschland die "Charta" unterzeichnet. Rund 430 Menschen arbeiten hier, meist im künstlerischen Bereich. Das Ensemble sei ohnehin international. Mit dem Intendanten Barrie Kosky ist die Vielfalt nun auch an der Spitze des Hauses angekommen: Seine Großeltern hatten russische, polnische und ungarische Wurzeln, aufgewachsen ist er in Australien. "Diversity ist für mich keine Marketingstrategie, sondern Teil meiner eigenen und auch der Identität dieses Hauses", so Kosky.
Die Oper will sich für neue Zuschauergruppen öffnen. Dafür betreibt sie gezieltes Ethnomarketing und holte Mustafa Akça ins Team. 2011 wurde das Projekt "Selam Opera!" ins Leben gerufen. Er kooperierte mit türkischsprachigen Medien und sprach mit Berliner Taxifahrern. "Wir sind rausgegangen in die Communities, haben Begegnungsstätten besucht und gefragt, was die Leute sich wünschen", sagt Akça. Viele fragten, welche Angebote es für Kinder gibt. So wurde der Kinderchor vielfältiger: Die Hälfte der kleinen Sänger hat mittlerweile einen türkischen Hintergrund.
Auch mit Familientagen und dem Operndolmuş (Dolmuş ist das türkische Wort für Sammeltaxi) will man neue Zuschauer erreichen: Seit 2012 fährt ein Kleinbus samt Sängern und Musikern regelmäßig Einrichtungen von Migranten an. Ab Juni wird der Operndolmuş auch Grundschulen besuchen. Darüber hinaus ist die Komische Oper nach eigenen Angaben das erste Opernhaus der Welt, das bei seinen Aufführungen Untertitel in vier Sprachen anbietet: Deutsch, Englisch, Französisch und Türkisch. "Es geht uns gar nicht unbedingt darum, dass alle kommen, aber dass sich alle willkommen fühlen", so Marketingleiter André Kraft.
Von Rana Göroğlu, MDI
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